IZ P olicy P apers - instytut zachodni w poznaniu - Poznań
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großstammesmäßige (d. h. nationale) Ansatz (auch) im Vertreibungsdiskurs<br />
wirft die Frage nach dessen Charakter in der (nächsten) Zukunft auf. Die in<br />
Umlauf gebrachte Formel von der „Rache der Opfer“ (Helga Hirsch) lässt eine<br />
der wahrscheinlichen Ausrichtungen des Diskurses vorausahnen.<br />
Die Anfänge dieser Ausrichtung sind jedoch wesentlich früher zu suchen.<br />
Sie wurde gleich nach dem Krieg vom angesehenen Philosophen Günther<br />
Anders als eine Art Gesetz der kognitiven Dissonanz entdeckt und definiert.<br />
Der Sozialpsychologe Elliot Aronson hat sich in seinem bekannten Buch The<br />
Social Animal des Begriffs der kognitiven Dissonanz bedient, um auf diese<br />
Weise einen „Spannungszustand“ zu bezeichnen, der auftritt, wenn die Notwendigkeit<br />
besteht, Elemente der Kognition in einen gemeinsamen Rahmen<br />
einzuordnen, die als psychologisch unzusammenhängend, als innerhalb<br />
einer Persönlichkeit schwer miteinander vereinbar empfunden werden. Die<br />
Ursachen einer solchen kognitiven Dissonanz gehen aus Anders’ Ausführungen<br />
hervor. In seinen Tagebüchern aus der Nachkriegszeit erkannte Anders,<br />
der Philosoph in der Emigration, geradezu prophetisch, wie die ethnisch<br />
zusammengefügte Kausalkette der Verantwortung der deutschen Gesellschaft<br />
für die Verbrechen des Dritten Reiches umgekehrt wird, indem man<br />
den Grundsatz Post hoc, ergo propter hoc durch Proximum, ergo primum est<br />
ersetzt. 39 Nach der Rückkehr aus der Emigration nach Wien im Jahre 1950<br />
erfuhr er, wie der Hass gegen die wirklich Schuldigen auf eine Art Ersatzhass<br />
traf. 40 In seinen Tagebüchern aus der Nachkriegszeit gibt er eine Analyse der<br />
kognitiven Dissonanz am Beispiel seines Gesprächs mit einem Wiener über<br />
die Bombardierung Wiens durch die Alliierten. Die „private“ Geschichte<br />
führt zur Umkehrung des Kausalzusammenhangs. Die Bombardierungen von<br />
Warschau, Rotterdam und London stellen in den Augen dieses Wieners die<br />
gerechte Strafe für die alliierte Bombardierung seiner Stadt dar: „[D]ie hiesigen<br />
Trümmer stehen für ihn so absolut im Vordergrunde, sie sind so primär, dass<br />
sie ihm auch zum zeitlichen primum geworden sind; wenn Warschau oder<br />
London kaputt sind, so deshalb, weil die unsere Häuser umgelegt haben.“ 41<br />
Darin wird Anders zufolge ein bestimmtes Modell falschen Denkens<br />
sichtbar: der Austausch der Kategorien „früher“ und „später“ gemäß der Regel<br />
Proximum, ergo primum est. Um daher die Denkweise der „Hiesigen“ zu begreifen,<br />
müsse man diese „Inversionsfigur“ durchschauen. 42 Anders versucht<br />
diese Art von Austausch durch Rückgriff auf die sog. Diskrepanzphilosophie<br />
zu erklären. Mutatis mutandis ließe sich eine solche Kausalinversion auch<br />
auf den Vertreibungsdiskurs anwenden.<br />
Man kann sich kaum zwei Kategorisierungen des Vertreibungsdiskurses<br />
39 „Post hoc …“ – Danach, also deswegen: Philosophische Formel, welche die Schlussfolgerung<br />
zum Ausdruck bringt, von zwei beobachteten Ereignissen sei das frühere notwendigerweise<br />
die Ursache des späteren. [„Proximum …“ – Von Anders konstruierte Formel, die er selbst<br />
wiedergibt mit: „Es ist das mir am nächsten Liegende, ergo ist es auch das zeitlich Erste.“ –<br />
Anm. d. Übers.]<br />
40 G. A n d e r s, Tagebücher und Gedichte, München 1985, S. 135f.<br />
41 Ebenda.<br />
42 Ebenda, S. 136.<br />
Das Erinnern institutionalisierter Gewalt und die historische Semantik<br />
<strong>IZ</strong> P<strong>olicy</strong> P<strong>apers</strong> • nr 1(II) • www.iz.poznan.pl 63