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IZ P olicy P apers - instytut zachodni w poznaniu - Poznań

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Hubert Orłowski<br />

historischer Prozesse und ein Ereignis von gewaltiger gesellschaftlicher und<br />

gefühlsmäßiger Bedeutung. Vertriebene – so bezeichnen sich die Menschen<br />

selbst, die Opfer dieses Prozesses waren. Es ist ein Ausdruck mit starker<br />

emotioneller Ladung, aber eben dieses heftige Wort brachte die wahren<br />

Empfindungen der Bevölkerung zum Ausdruck. 25 Historiker, Soziologen,<br />

Juristen und Politologen dürfen eine Bezeichnung, die den Emotionsgrad<br />

gesellschaftlicher Gefühle wiedergibt, nicht ändern. Es scheint auch, dass<br />

man nicht ohne Heuchelei sein Bedauern über die im Laufe der Vertreibung<br />

von den Deutschen erlittenen Leiden zum Ausdruck bringen und gleichzeitig<br />

darauf beharren kann, das Ereignis anders zu bezeichnen, als es die Opfer der<br />

Vertreibung wollten.“ 26 Dem ist nichts hinzuzufügen.<br />

Allerdings darf man begründete Zweifel hegen am spontanen Charakter<br />

des Entstehens und der Herkunft des Begriffs „Vertreibung“. Eine eingehende<br />

Untersuchung von Mathias Beer zur Umsetzung des ersten Großprojekts<br />

Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa<br />

(1951–1961) dokumentiert, dass in allen entscheidenden programmatischen<br />

Dokumenten und Arbeiten bis 1950 ein ganz anderer Terminus Verwendung<br />

fand, nämlich „Ausweisung“. 27 Der „Kraftausdruck Vertreibung“ sei daher<br />

erst später und unter anderen Umständen, im Rahmen der verwickelten<br />

(Erinnerungs-)Politik der jungen Bundesrepublik, an den Rändern des Vertreibungstraumas<br />

selbst konzipiert worden. Daher wäre es – im Einklang mit<br />

der Argumentation Jürgen Joachimthalers zur „Semantik des Erinnerns“ 28 –<br />

angemessen, sich des Begriffs „Vertreibung“ überall dort zu bedienen, wo wir<br />

es mit einer „Ideologisierung“ dieses Terminus im Hinblick auf die Flucht<br />

und Vertreibung der deutschen Bevölkerung seit Herbst 1944 zu tun haben.<br />

Dann wären jedoch alle übrigen „Vertreibungen“ von der „Gedächtniskarte“<br />

verbannt.<br />

Dieses Urteil wird von den Argumenten der Historiker Eva und Hans<br />

Henning Jahn gestützt. Unter dem Stichwort „Flucht und Vertreibung“ des Lexikons<br />

Deutsche Erinnerungsorte befassen sich die Autoren mit Erinnerungsprozeduren,<br />

nicht jedoch mit irgendeiner unverifizierbaren Frische oder Qualität<br />

der Gefühle. Sie fassen den Begriff „Vertreibung“ als kulturell artikuliert<br />

auf: „Der Beginn des deutschen Erinnerungsortes ‚Flucht und Vertreibung’ ist<br />

also nicht im Ereignis selbst zu suchen, der Erinnerungsort entstand also auch<br />

nicht aus einem freien ‚Spiel’ der Erinnerungen, sondern ist das Ergebnis einer<br />

ganz konkreten Erinnerungspolitik nach der Ankunft der aus Osteuropa ge-<br />

25 Das hier von mir hervorgehobene, bedeutungsschwere Syntagma fehlt in der polnischen<br />

Ausgabe. Vgl. W. B o r o d z i e j u. A. H a j n i c z, Raport końcowy, in: W. B o r o d z i e j u.<br />

A. H a j n i c z (Hg.), Kompleks wypędzenia, Kraków 1998, S. 373f.<br />

26 Vgl. W. B o r o d z i e j, A. H a j n i c z, Der Komplex der Vertreibung. Abschlußbericht, Warschau,<br />

den 7. Dezember 1996, S. 1 (Typoskript in deutscher Sprache).<br />

27 Vgl. M. B e e r, Im Spannungsfeld von Politik und Zeitgeschichte. Das Großforschungsprojekt<br />

„Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa”, „Vierteljahresschrift<br />

für Zeitgeschichte“, 46 (1998), S. 345f.<br />

28 Vgl. J. J o a c h i m s t h a l e r, Die Semantik des Erinnerns. Verlorene Heimat – mythisierte<br />

Landschaften, in: E. M e h n e r t (Hg.), Landschaften der Erinnerung, Frankfurt am Main<br />

2001, S. 195.<br />

<strong>IZ</strong> P<strong>olicy</strong> P<strong>apers</strong> • nr 1(II) • www.iz.poznan.pl

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