IZ P olicy P apers - instytut zachodni w poznaniu - Poznań
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Forscher mit unbegrenzter Referenzmacht ausgestattet wurden. Stanisław<br />
Jerzy Lec pflegte zu sagen, aus Halbwahrheiten lasse sich keine Wahrheit<br />
zusammenfügen. Das bestätigt sich auch im vorliegenden Fall.<br />
Die Stimmen anderer Forscher dringen nur mit Mühe auf die Bühne öffentlicher<br />
(medialer) Diskurse zur Vertreibung vor. Wohl die aktuellste Einführung<br />
in die Geschichte der statistischen Angaben (denn man kann hier kaum von<br />
Untersuchungen sprechen) stammt von dem deutschen Historiker Ingo Haar:<br />
Der Titel seiner hervorragenden Arbeit Die demographische Konstruktion<br />
der „Vertreibungsverluste“ – Forschungsstand, Probleme, Perspektiven, Opfer<br />
spricht Bände. Haar weist auf das Verschweigen verlässlicher, wenn auch<br />
fragmentarischer, (kirchlicher) Untersuchungen hin, die nach Ort, Zeitpunkt<br />
und Art des Todes differenzieren. Ferner schlägt er eine Methodologie zur<br />
Ermittlung der Zahl der Opfer (Todesfälle) vor, die „tatsächlich bezeugte“ von<br />
„bilanzierten“ unterscheidet. 37 Gerade in der „Bilanzierung“, im Substrahieren<br />
und Addieren, im Ausschließen und Einschließen bestimmter Bevölkerungsgruppen<br />
sieht Haar die Möglichkeit von Manipulationen im Interesse der<br />
These von „ethnischen Säuberungen“. Besonders heftig fällt seine Polemik<br />
mit den neuesten (im alten Stil erstellten) statistischen Opferangaben aus,<br />
deren sich dann (insbesondere) Vertriebenenpolitiker bedienen.<br />
Seine außergewöhnlich solide dokumentierte Narration schließt Haar mit<br />
der folgenden bitteren Pointe: „In dieser Geschichtskonstruktion [d. h. dem<br />
Ausschließen des Völkermords im Krieg – H. O.] figuriert die Vertreibung der<br />
Deutschen als universalhistorischer Schlüssel zur Erklärung des Zweiten<br />
Weltkriegs bzw. seiner unmittelbaren Nachkriegsgeschichte. Der interessierten<br />
Öffentlichkeit wird das Geschichtsbild eines deutschen Opferkollektivs<br />
vermittelt, das den jüdischen Genozidopfern des Zweiten Weltkriegs oder den<br />
armenischen aus dem Ersten Weltkrieg gleichgestellt ist“ 38 .<br />
62<br />
Hubert Orłowski<br />
Der ethnische und politische Status<br />
von Tätern und Opfern<br />
Die aufeinanderfolgenden Etappen der Diskussion – sowohl auf publizistischem<br />
wie auf wissenschaftlichem, sowohl auf politologisch-historischem wie<br />
auf soziologisch-psychologischem Gebiet – zeigen in aller Deutlichkeit, wie<br />
weit wir uns nicht nur von den Verantwortungs- und/oder Schuldzuweisungen<br />
der Nachkriegszeit an nationale Gemeinschaften, sondern auch, beispielsweise,<br />
von der Abrechnung im Zeichen der „Achtundsechziger“ entfernt haben.<br />
In der, wissenschaftlich und publizistisch-medial geführten, öffentlichen<br />
Diskussion erscheint ein neues, ethnisches Paradigma, das dem politischen<br />
Paradigma entgegensteht, ja es sogar verdrängt. Der stammesmäßige oder<br />
37 I. H a a r, Die demographische Konstruktion der „Vertreibungsverluste” - Forschungsstand,<br />
Probleme, Perspektiven, Opfer, „Historie. Jahrbuch des Zentrums für Historische Forschung<br />
Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften“, Folge 1, 2007/2008, S. 117.<br />
38 Ebenda, S. 119 (Hervorhebung von mir – H. O.).<br />
<strong>IZ</strong> P<strong>olicy</strong> P<strong>apers</strong> • nr 1(II) • www.iz.poznan.pl