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ZUM PARADIGMENWECHSEL DER MUSIK IM 20 ... - leo-dorner.net

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Ideal einer nichtkontingenten klanglogischen Tonrede - sollte nun in der dodekaphonen<br />

Atonalität, in Erfüllung des totalisierten Chromas, durch die dodekaphone Grundbeziehung<br />

jedes Tones und Intervalles auf höherer, differenzierterer Stufe wieder ermöglicht werden. 14<br />

An die Stelle der tonalen Grundbeziehungen könne die Beziehung auf das als zwölftönige<br />

Ganzheit intendierte Chroma, auf die dodekaphone Totale, treten, durch deren „Nuraufeinander-Bezogensein“<br />

eine völlig neue und dennoch nichtkontingente - syntaktische -<br />

Vermittlung nichttonaler Tonhöhenbeziehungen konstituierbar sein sollte. Und da im<br />

dodekaphonen Grund, anders als im tonalen, keine hierarchische Tonhöhenstruktur<br />

vorgegeben sei, sei nun auch die Syntax für eine musikalische Sprache in befreiten,<br />

nichthierarchisch organisierten Tönen entdeckt worden, - die Grundlage für eine neue<br />

Musikalität und Werkidiomatik, die überdies mit der europäischen Entwicklung zu einer<br />

Demokratisierung aller Lebensbereiche auffällig übereinstimme.<br />

Zu dieser glänzenden Aussicht: eine neue Musiksprache sei durch eine neue<br />

Kompositionstechnik zu begründen: der Komponist in der Rolle des Propheten: mit<br />

ungeheurem ethischen Anspruch übergibt er dem Volk der Komponisten und Musiker die<br />

Gesetzestafeln einer neuen Sprache, kam eine zweite, nicht minder vielversprechende hinzu.<br />

Denn die neue Methode schien Schule zu machen, sie erwies an den plastisch gegeneinander<br />

abgehobenen Oeuvres dreier Komponisten - Schönberg, Berg, Webern - die Realisierbarkeit<br />

des neuen Prinzips. Dies musste in der Folgegeneration weithin die Annahme erwecken, dass<br />

nun entweder tatsächlich eine neue Syntax und ein neues Idiom für zeitgemäße Individualstile<br />

gefunden oder doch wenigstens ein vororganisierter Materialfundus zu entdeckt worden sei,<br />

der sowohl die unwillkürliche Vermeidung tonaler Strukturen als auch die individuell freie<br />

Formierung und Anwendung des neuen allgemeines Regelwerks ermögliche. Und unter<br />

diesen Prämissen schien die Hoffnung auf eine Fortsetzbarkeit der großen Tradition legitim;<br />

begründet auch die Zuversicht, eine verbindliche neue Musikalität, nicht bloß die künstliche<br />

einer spezialisierten Kompositionstechnik, werde sich im <strong>20</strong>. Jahrhundert durchsetzen.<br />

Konnte demnach die Dodekaphonie die freie Atonalität vom Vorwurf freisprechen, lediglich<br />

als Negation der Tonalität Bestand und Legitimation zu haben? Und war die Einverleibung<br />

traditioneller, der Tonalität zugehöriger Prinzipien und Strukturen des Metrisch-<br />

Rhythmischen durch das dodekaphone Komponieren so unproblematisch wie es für<br />

Schönberg zunächst den Anschein hatte? Daß die Übernahme der symmetrischen<br />

Proportionsrhythmik unerlässlich war, ging schon aus der ästhetischen Zielbestimmung der<br />

dodekaphonen Musik hervor: sie wollte eine motivisch-thematische wie die traditionelle sein,<br />

ja deren Vertiefung und Vollendung als entwickeltste Variation und Durchführung; ein Ziel,<br />

das die metrisch-rhythmische Identitätsstiftung der atonalen Motive und Themen<br />

voraussetzte.<br />

5.<br />

Schönbergs erste atonale Stücke - um 1908 komponiert - waren von auffälliger Kürze. Deren<br />

Werkdeuter meinten zunächst, manche bis heute, die zeitliche Kürze der Stücke verdanke sich<br />

allein der außerordentlichen Intensität ihres Ausdrucks. Die Werke jener Zeit seien als<br />

Repräsentanten des expressionistischen Protokoll-Stils zur Momenthaftigkeit genötigt.<br />

Schönberg und Berg, offenbar unzufrieden mit expressiver Kürze als kompositorischem<br />

14 Schönbergs und Weberns Theorem: wie die Dur-Moll-Tonarten wegen ihrer höheren Schlussfähigkeit die<br />

Kirchentonarten, so hätte nun das Reihensystem das Dur-Moll-Tonarten-System abgelöst, ist illusorisch, wie ihre<br />

eigenen Ausführungen zeigen. Die Schlüsse werden durch die Reihe nicht „reicher“, sondern liquidiert. Daher<br />

die schließliche Aufgabe des Theorems durch Webern selbst: „...daß das Musikstück zu Ende ist, merkt man ja<br />

ohnedies.“ (Anton Webern: Der Weg zur Neuen Musik. Hrsg. v. W. Reich, Wien 1960, S. 31. und Der Weg zur<br />

Komposition in zwölf Tönen. Ebenda, S. 45)

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