04.05.2013 Aufrufe

ZUM PARADIGMENWECHSEL DER MUSIK IM 20 ... - leo-dorner.net

ZUM PARADIGMENWECHSEL DER MUSIK IM 20 ... - leo-dorner.net

ZUM PARADIGMENWECHSEL DER MUSIK IM 20 ... - leo-dorner.net

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

aufgeputschten Ritualen verabsolutierter Selbstanerkennung ausliefern, was unausweichlich wird, wenn eine<br />

plural gewordene Musikkultur und Gesellschaft den behaupteten Kriterien und Gebilden des subjektiven<br />

Müssens eine verbindliche Anerkennung nicht mehr zollen kann. (Schönbergs Abwehr des Schicksals von<br />

Leverkühns Musik bestätigt dessen Unausweichlichkeit.) Wird das Einzelne sein eigenes Allgemeines, so kann<br />

es in der „Absage an alles Übergreifen, der es als seinem Gesetz unterliegt, über das reine Diesda hinaus“ (S.<br />

35.) einen verbindlichen intersubjektiven Anspruch nicht mehr erheben. Schönberg weigerte sich schließlich, die<br />

dodekaphone Stimmigkeit in den Arbeiten seiner Schüler zu prüfen. Schönberg an Rudolf Kolisch am 27. Juli<br />

1932: „Ich habe das dem Wiesengrund schon wiederholt begreiflich zu machen versucht, und auch dem Berg<br />

und dem Webern. Aber sie glauben mir das nicht. Ich kann es nicht oft genug sagen: meine Werke sind<br />

Zwölfton-Kompositionen, nicht Zwölfton-Kompositionen.“ (Arnold Schönberg. Ausgewählte Briefe. Hrsg. v. E.<br />

Stein, Mainz 1958, S. 179.)<br />

Allerdings könnten Zwölfton-Kompositionen Zwölfton-Kompositionen sein, wenn die Reihe „in der Art eines<br />

Motivs“ Werke generieren könnte, und das Nuraufeinanderbezogensein der Töne in der Reihe nicht ihr genaues<br />

Gegenteil wäre: Nichtaufeinanderbezogensein der Töne und Intervalle. - Schönbergs Uneinsichtigkeit in die<br />

Aporie der Dodekaphonie dokumentiert auch das Scheitern seines Versuches, seinen Schülern in der<br />

Anfangsphase der Zwölftontechnik geheimnisvolle Entdeckungen auf dem Gebiet des mehrfachen<br />

Kontrapunktes beizubringen. „Ich gab mir viel Mühe, diese Anweisungen so zu formulieren, daß sie den<br />

Schülern begreiflich wurden, aber vergebens. Nur einmal, in einer der besten Klassen, die ich je hatte, hielt ich<br />

die Darstellung dieses Problems und seiner Lösung für endgültig, und ich bat die Klasse für die nächste Stunde<br />

etwas zu komponieren unter Anwendung der Methoden, die sich aus meiner Lösung ergaben. Es war eine meiner<br />

größten Enttäuschungen. Nur einer meiner Schüler hatte versucht, meine Anweisungen zu befolgen, und er hatte<br />

mich genauso missverstanden wie der Rest der Klasse.“ (Stil und Gedanke. Segen der Sauce. S. <strong>20</strong>7.)<br />

Bezeichnend Schönbergs Reaktion auf sein Scheitern: ein konfuser Aufschwung zu esoterischer Folgerung und<br />

Lehre, in der die späteren Brosamen des Subkutanen und der Methode als bloßer Privatsache bereits angelegt<br />

waren: „Dieser Versuch erteilte mir eine Lehre: Geheimwissenschaft ist nicht das, was ein Alchemist jemanden<br />

zu lehren sich geweigert hätte. Sie ist eine Wissenschaft, die überhaupt nicht gelehrt werden kann. Sie ist<br />

eingeboren oder nicht da.“ Und ist für Schönberg auch die Erklärung, „warum Thomas Manns Adrian<br />

Leverkühn das Wesentliche der Komposition mit zwölft Tönen nicht weiß. Alles was er weiß ist ihm von<br />

Adorno erzählt worden, der nur das Wenige [!] weiß, was ich meinen Schülern zu erzählen vermochte. Die<br />

eigentlichen Tatsachen werden möglicherweise eine Geheimwissenschaft bleiben, bis jemand kommt, dem sie<br />

kraft einer Gabe zufallen.“ Schönberg ist also der Hüter eines Geheimnisses, dem selbst ein Geheimnis ist,<br />

worin sein Geheimnis besteht.<br />

Ein weiterer Grund neben den mephistophelischen und geschichtlich katastrophischen Verstrickungen, weshalb<br />

Schönberg Adrian Leverkühn eine andere Komponiermethode als die dodekaphone empfehlen wollte: von<br />

Thomas Mann als Nichtschüler und Komponierlaie war noch weniger als von Adorno die Gabe zu erwarten, die<br />

Geheimnisse der Geheimlehre entschlüsseln und der neuen - dodekaphonen - Musiksprache mit Dichtung und<br />

Roman dienen zu können.<br />

Verständlich nun auch, weshalb Adorno einerseits vor der charismatischen Macht einer esoterischen Autorität<br />

die Macht seiner philosophischen ratio beugte und seine Einsichten lange zurückhielt, verfügte er doch<br />

offensichtlich nicht über kohärente Erkenntnisse in die Aporie der Sache, so daß er trotz der offensichtlichen<br />

Aporien der „Methode“ - die stets ins Esoterische auswich, wenn sie Farbe bekennen sollte, und dies sogar im<br />

intimen Klassenunterricht - die Idee eines „subkutanen Zusammenhanges“ in den dodekaphonen Werken<br />

hypostasierte, ein musikphilosophisches Märtyrertum gleichsam, das gleichwohl verstehbar macht, weshalb er<br />

gegen das falsch gezeugte Kind, nachdem er dessen Namen auf Wiener Boden nicht zu nennen wusste, immer<br />

wieder zu überraschenden Vernichtungsschlägen, oft inmitten von Apologieversuchen, ausholte, um schließlich<br />

in Amerika mit geradezu diabolischen Ratschlägen für Thomas Mann über die neue Methode aufzuwarten.<br />

Noch 1948 dachte Schönberg, seine Sache hätte mit happy-end geendet. In der gegen Nadia Boulanger<br />

gerichteten Schrift (Der Segen der Sauce) - es galt, die sich ankündigenden Schatten des Seriellen zu bannen -<br />

lesen wir, daß es offenbar möglich ist, auch ohne jene Gabe, die neue Geheimwissenschaft entschlüsseln zu<br />

können, und auch „trotz der Härte der Forderungen“ in seinem Unterricht, einige, wenn auch nur wenige, wie<br />

Schönberg zugesteht, Komponisten hervorzubringen (Webern, Berg, Eisler, Rankl, Zillig, Gerhard, Skalkottas,<br />

Hannenheim, Strang, Weiss), die nun dadurch, daß jeder seine eigene Art fand, „Regeln [!] zu befolgen, die aus<br />

der Behandlung der zwölf Töne abgeleitet sind“, den „wahren Internationalismus unserer Zeit“ geschaffen<br />

hätten. (S. <strong>20</strong>8.) - Kaum verwunderlich, daß sich schon die nächste Generation, mit Boulez an der Spitze, mit der<br />

Bastardsprache dieses nur vermeintlich „wahren Internationalismus“ nicht mehr anfreunden wollte.<br />

Und ebenso nicht, daß wir nicht mehr der skurrilen Logik vieler Musikhistoriker folgen können, wonach<br />

Schönbergs Werke als Zwölftonkompositionen großartig, aber als Zwölftonkompositionen unhaltbar sind. Carl<br />

Dahlhaus: „Schönberg dachte motivisch, ohne motivisch zu komponieren.“ (C. Dahlhaus: Schönberg und<br />

andere. Mainz 1978, S. 118.) Über ein fiktiv beseeltes Lebewesen lässt sich nicht behaupten: sein Körper sei<br />

morsch und eigentlich keiner, aber sein Geist, sein Geist, wie keiner je gewesen!

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!