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ZUM PARADIGMENWECHSEL DER MUSIK IM 20 ... - leo-dorner.net

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Thomas Mann, begeisterter Wagnerianer und Schopenhauerianer (mit einer Vorliebe für Pfitzner), wird nicht<br />

wenig über die hysterische Gestalt gestaunt haben, in die sich seine vergötterte romantische Musik als<br />

dodekaphone verwandelt hatte. Gewiß ein Grund für ihn, das hörbar Dämonische und Gebrochene der neuen<br />

Musik als Ausdruck eines faustischen Willens und Scheiterns zu deuten und mit der politischen Tragödie<br />

Deutschlands und Europas im <strong>20</strong>. Jahrhundert zu verknüpfen. Und dies musste Schönberg empören; daß seine<br />

Musik, in der Darstellung der Musik und Biographie Adrian Leverkühns, in das allgemeine Verderben<br />

hineingerissen wurde, obgleich sie doch - auch in Adornos, wenngleich gebrochener Apologie - ein Widerpart<br />

gegen die Barbarei, somit Versöhnung durch musikalische Aufklärung sein sollte. Der Aufgang einer neuen<br />

großen Kunst, in der die Widersprüche der musikalischen Moderne nach dem Zerfall der Tonalität durch eine<br />

einheitsstiftende Methode gelöst wären. Und anders als Webern, der noch bis zuletzt auf einen Sieg Adolf<br />

Hitlers hoffte, der auch seiner bislang verkannten Musik zum Durchbruch verhelfen werden, sah Schönberg als<br />

verfemter Künstler und vertriebener Jude seine Musik als ein nun auch gerechtfertigtes Politikum, das daher<br />

nicht dem Verderben und der Barbarei, sondern der verfolgten Antibarbarei zugehöre.<br />

Mit welchen Tabuisierungen und Verrenkungen Musiker und Musikhistoriker bis heute auf diese allerdings<br />

dämonische Dialektik reagieren, ist bekannt. In der Sache Schönberg heben sich - in vorphilosophischer<br />

Darstellung - positives Politikum und negative Poetikum stets gegenseitig auf, ohne jemals den klärenden Grund<br />

der scheinerklärenden Synthesen finden zu können. Gewiß ein weiterer Grund für Thomas Mann, den<br />

theologischen Abgründen der Neuen Kunst und Musik inmitten des mehrmals in die Barbarei stürzenden Europa<br />

im <strong>20</strong>. Jahrhundert nachzugehen. Immerhin stand ja die nichttonale neue Musik mit dem Angesicht gegen eine<br />

mehr als tausendjährige tonale, die christlichem Geist entsprungen, theologisch nicht erst seit Luther überaus<br />

salviert war, und schließlich seit Beethoven ihrer eigenen Säkularisierung beiwohnte. Die Frage eines auch<br />

musikgeschichtlichen Sündenfalls stand daher zentral im thematischen Raum des Romans, im Teufelsgespräch<br />

theoretisch, in Leverkühns Faust-Kantate, zu der Adorno eine fiktive Musik komponierte, musikalisch<br />

kulminierend.<br />

Und daß den Verstrickungen des Jahrhunderts nicht zu entkommen war, zeigt sich nicht nur an Adornos<br />

unaufgelöst ambivalentem Verhältnis zur Zwölftontechnik, sondern auch zur Dämonologie eines Verfahrens,<br />

über dessen Mystifizierung der Zwölfzahl er des öfteren kritisch gespottet hatte. Obwohl Adornos Denken der<br />

Theosophierung von Dodekaphonie unhold, schreibt er 1962 an Erika Mann: „Die Zeile ‚Denn ich sterbe als ein<br />

böser und guter Christ’, war von ihm [Thomas Mann] als Zentrum des Texts zum Faust-Oratorium gedacht. Sie<br />

musste also auch das musikalische Zentrum werden, die kleinste Zelle des Systems konzentrischer Variationen,<br />

als die das Stück gebaut ist. Mit anderen Worten: diese Worte mussten zu der Grundreihe komponiert werden.<br />

Als ich die Silben auszählte, entdeckte ich, zu meinem maßlosen Erstaunen, daß es zwölf waren - daß also eine<br />

Zwölftonreihe genau darauf passte.“ (Zitiert nach Martin Hufner: Adorno und die Zwölftontechnik. Regensburg<br />

1996, S. 126.) - Wie in einem letzten Choral, der als „Doctor Fausti Weheklag“ zugleich keiner mehr sein<br />

konnte, sollte auf jeden Ton der Reihe eine Silbe jenes Satzes kommen, der mit der Bitte um Verzeihung die<br />

Extreme von theologischer Salvierung wie ebenso Verdammung des Musikers umfasst. Nun hat aber das<br />

Silbenauszählen in vielen Kompositionen Adornos stattgefunden, gerade als zeitweiliger Dodekaphoniker war<br />

Adorno damit vertraut; (Adorno und die Zwölftontechnik. S. 126.) das Erstaunen war daher wohl weniger maßlos<br />

als vielmehr beabsichtigt eingesetzt: der Schulaberglaube findet, was er sucht. Kokett schreibt er in jenem Brief:<br />

„Solche Korrespondenzen schicken sich nicht schlecht zum dem Klima der negativen Mystik, das den Roman<br />

beherrscht.“ - Adorno war, wie er zwischen den Worten zu erkennen gibt, nicht so frei von dem, was sich in<br />

anderen Dodekaphonikern übersteigerte: „Das Zahlenspiel der Zwölftontechnik und der Zwang, den es ausübt,<br />

mahnt an die Astrologie, und es ist keine bloße Schrulle, daß vieler ihrer Adepten dieser verfielen.“ (Philosophie<br />

der neuen Musik. S. 67.)<br />

Die Früchte dieser Verstrickungen sind ungenießbar: schlecht verträgt sich nämlich das „Klima einer negativen<br />

Mystik“ mit Schönbergs Theosophie, die einer Salvierung der Dodekaphonie von Swedenborgs Gnaden<br />

gleichkam, und ebenso schlecht mit dem dodekaphon „Subkutanen“, das uns nach Stuckenschmidt bei<br />

Zwölftonmusik als konzentriertester Geist unserer Zeit verzaubere. Daß Adorno bei ‚negativer Mystik’ wohl<br />

nicht an die des Dionysos Areopagita dachte, sondern an die seiner Negativen Dialektik und Dialektik der<br />

Aufklärung, wonach das Schicksal neuzeitlicher Vernunft sich im <strong>20</strong>. Jahrhundert erfülle durch einen<br />

Höllensturz in totale Unvernunft, bedeutet wenig. Zuletzt führen auch die abseitigsten Weg der Moderne dorthin,<br />

woher sie entlaufen sind: sein Versuch, die bilderlose Bilderschrift einer unentzifferbaren Kunst, das Sinnlose<br />

ihres Bild- und Sprachebruchs zu deuten als einzig noch mögliches Sinnbild des Menschen in einer Welt, der das<br />

Absolute entlaufen scheint, reformulieren nur die Züge des der verschollenen Mystik vertrauten deus<br />

absconditus.<br />

Schönberg war das Dämonische in Gestalt eines unbezwingbaren Aberglaubens vertraut. Wie sehr seine<br />

panische Angst vor der ominösen 13, deren Auftauchen seine Schaffenskraft für Wochen lähmen konnte, etwa<br />

auf Seite 13 seines Violinkonzertes (Vgl. Hans Heinz Stuckenschmidt: Schönberg, Leben, Umwelt, Werk. Zürich<br />

1974, S. 370.), jeden Geburtstag für seine Familie und ihn, den an einem 13. Geborenen, ja jeden 13. des Monats<br />

zur Qual machte, ist durch Tagebuch, Briefe u.a. Dokumente belegt. Die Namen „Moses und Aaron“ (=13

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