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ZUM PARADIGMENWECHSEL DER MUSIK IM 20 ... - leo-dorner.net

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Früh schon stieß Adorno auf die Uneinlösbarkeit von Schönbergs These, die Tonalität werde zunächst praktisch,<br />

dann theoretisch durch die zur Pantonalität aufgestiegene Dodekaphonie überwunden werden, - die Komponisten<br />

und Kompositionen seien die Vorreiter einer stichhältigen Theorie ihrer Praxis. (S. 107.)<br />

Und da für Adorno zuletzt weder die Tonalität tragbar und zukunftsfähig noch auch die Dodekaphonie und<br />

Serialität ins Gelobte Land einer wahrhaft befreiten Musik geführt hatten, suchte er selbst noch in der Phase der<br />

nachseriellen Entwicklung, nachdem die „Blague Cage“ (Adorno) schon erschienen war, hinter dem Begriff<br />

einer Informellen Musik nach seinem Idol einer Musik, die den Namen einer wahrhaft freien verdiene, weil sich<br />

in ihr Form und Materie, Freiheit und Notwendigkeit gewaltlos auf der Höhe versöhnter und integrierter<br />

Zeitgestaltung oder doch wenigstens von deren utopischer Vorwegnahme verbinden sollten können.<br />

Wie sehr sich Schönberg über den vermeintlichen Brillanten Reihe täuschte, zeigt sein Versuch, sich die<br />

Verweigerung oder Indifferenz des Publikums zu erklären: „Die schnellen Klangwechsel,… die Veränderungen<br />

in schnellerer Folge als üblich… machen es für den Hörer schwierig die Musik zu genießen, schwieriger…, sie<br />

zugleich wahrzunehmen.“ (S. 134.) - Nicht weil sie „schneller“, sondern weil sie nicht mehr durchgängig, kaum<br />

mehr als zu Hälfte vollziehbar strukturiert sind, gebricht es dem Verstehen an unmittelbarem Einverständnis,<br />

wird das Vertrauen des Hörers in den Komponisten gebrochen. Der aufgezeigte Widerspruch ist nicht auf das<br />

Tempo zurückzuführen, ist nicht einer Überfülle an Veränderungen und „Beziehungen“ in kurzen Zeitdauern<br />

zuzuschieben; er ist an jedem, auch einfach gestalteten Adagio dodekaphoner Machart zu vernehmen.<br />

Denn entweder hören wir die syntaktische Nichtbeziehung dodekaphoner Intervalle als hörbare Beziehungen<br />

„zurecht“ - ein stets irgendwie tonales Zurechthören - das gegen den Sinn des Gebildes und seines Urhebers<br />

verstößt, oder wir hören sie als die atomisierten Einzeltöne, die sie sind, und die - alle Anleihen bei traditioneller<br />

Figuration abgerech<strong>net</strong> - dazu tendieren, nur mehr als zeitliche Folgeform von Tönen, als kontingente<br />

Sukzession, wahrgenommen zu werden; Töne und Klänge erscheinen als Inkarnate sinnentleerter<br />

Klangpositivität und vollbrachter Kontingenz. Musik wird, was zeitlich klingend der Fall ist, - über Schönberg<br />

erscheint der Schatten von Cage.<br />

Weil die Grundreihe aus verschiedenartigen Intervallen bestehe, meint Schönberg, „sie sollte niemals als Skala<br />

bezeich<strong>net</strong> werden, obwohl [!] sie als Ersatz für einige der vereinheitlichenden und formbildenden Vorteile von<br />

Skala und Tonalität erfunden worden ist.“ (S. 110.) - Wie die Reihe, ohne neue Skala zu sein, Ersatz für die<br />

Funktionen der alten Skala sein soll können, bleibt unerfindlich. „Die Skala ist die Quelle vieler Figurationen,<br />

Melodieteile und Melodien selber, auf- und absteigender Passagen und sogar [!] gebrochener Akkorde.“<br />

Im Bild der „Quelle“ verstellt sich Schönberg die Leere und Aporie seiner Kategorie von Skala, die „niemals als<br />

Skala sollte bezeich<strong>net</strong> werden.“ Solcher „Skala“ könnte und müsste nach Belieben jegliche Figuration<br />

entquellen, auch jede tonale (wie nicht zuletzt die vermeintlich wieder „schöne“ Verwendung von<br />

Zwölftonreihen in vielen postmodernen Werken zeigt), sofern nicht ausdrücklich jene Gesetzestafel negativer<br />

Gebote antitonaler Vermeidungsvorschriften aufgerichtet wurde, die nach Rudolf Stephan den Reichtum und die<br />

Nichtbanalität dodekaphoner Musik erst ermögliche. Die „Quelle“ ist daher fiktiver Natur, ihrem Material kann<br />

an sich jede Figuration entnommen und eingeschrieben werden, sie enthält nicht, was Schönberg intendiert, sie<br />

reproduziert nur seinen Glauben an eine Fiktion: dass unter dem bannenden Strahlt jener Vermeidungstafel die<br />

Quelle befähigt werde, einen ureigenen Strom von kohärenter Musik und Musikgeschichte hervorzubringen. Die<br />

zwölftönige Reihe ist weder Formel noch Quelle, weder thematische Matrix noch Skala. Was ist sie dann?<br />

Die Schwierigkeiten der Quelle sind nicht nur die Schwierigkeiten des Hörers; sie werden auch zur Qual des<br />

dodekaphon komponierenden Komponisten. Die neue Methode, so Schönberg, räche sich für das von den<br />

Zeitgenossen erlittene Unrecht, zum Untergang verurteilt worden zu sein, während sie doch „kein anderes Ziel<br />

als Fasslichkeit“ hatte. (S. 106.) Und zwar zynisch: „Aber obwohl sie die Schwierigkeiten der Hörers zu<br />

vergrößern scheint, gleich sie diese Unzulänglichkeit aus, indem sie auch den Komponisten bestraft. Denn so zu<br />

komponieren wird nicht leichter, sondern eher zehnmal schwieriger. Nur der besser gerüstete Komponist vermag<br />

für den besser gerüsteten Musikliebhaber zu komponieren.“ - Daß hier eine idée fixe im traurigen Ran eines<br />

Konstruktionsfehlers eine Fiktion aufrüstet, wird nicht nur durch die weiter Argumentation, sondern durch ihr<br />

ständiges Vergessen dessen, was sie soeben noch behauptete, bestätigt. Schönberg: „Man muß der Grundreihe<br />

folgen, aber trotzdem komponiert man so frei wie zuvor.“ (S. 116.)<br />

Die unlösbare Grundaporie des Theorems ist in dem einfachen Satz enthalten: „Die Grundreihe funktioniert in<br />

der Art [kursiv: L.D] eines Motivs.“ (S. 111.) - Keine „Art“ eines motivisch-thematischen Denkens ist möglich,<br />

weder als kompositorische Arbeit noch geronnen zu einer Reihe, die aus einer Skala, die keine sein kann,<br />

Strukturen erzeugen könnte, die jenen von Homophonie und Polyphonie traditioneller Kohärenz gleichkommen<br />

und deren durch syntaktische Tonalität vermittelte Einheit von Motivgehalt und Motivform ersetzen könnte.<br />

Nicht als Motiv, nur in der Art eines Motivs: darin sind alle Qualen beschlossen, die uns beim Hören<br />

dodekaphoner Musik und beim Lesen von Adornos gebrochenen Apologien der Schönbergschule Ohren- und<br />

Kopfzerbrechen bereiten.<br />

Im Glauben der Schule, jedes Werk bedürfe einer eigenen Reihe, bündelt sich nur der Rest des Glaubens an die<br />

Unfehlbarkeit der eigenen Phantasie, - geschrumpft auf ein Bündel atomisierter Töne und Intervalle. Und der<br />

Wahn, am Aggregat der atomisierten Tonalität deren Ersatz vor sich zu haben, gar eine erweiterte und

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