04.05.2013 Aufrufe

ZUM PARADIGMENWECHSEL DER MUSIK IM 20 ... - leo-dorner.net

ZUM PARADIGMENWECHSEL DER MUSIK IM 20 ... - leo-dorner.net

ZUM PARADIGMENWECHSEL DER MUSIK IM 20 ... - leo-dorner.net

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Unter Verweis auf den singulären Ausdrucksgehalt der Werke wurde versichert, daß die<br />

Einzigartigkeit seiner Darstellung in den einzigartigen Werken zugleich die Kohärenz ihrer<br />

einzigartigen Gestalt verbürge. Nur in radikaler Vereinzelung von Komponist und Werk<br />

bringe deren unmittelbare Expression das wahre Gesicht der Gesellschaft zum Ausdruck. 33<br />

Unaussprechlichkeit von Ton- und Klangideen, die sich an ihrer nachweisbaren Kontingenz in Material und<br />

Form als Un-Ideen setzen müssen. Dies verleugnen oder ignorieren, führt unausweichlich zur ideologischen<br />

Substituierung eines wahren durch ein gebrochenes Ideal, eines wirklichen durch ein gebrochenes Absolutes,<br />

eines schönen durch einen dämonischen Schein.<br />

Tritt mit dem <strong>20</strong>. Jahrhundert an die Stelle höchster Sprache von Musik die sprachlose der sprachfragmentierten,<br />

so wird zunächst - im unbegriffenen Schock darüber - der Schein einer neuen konsistenten Kunst von Musik, gar<br />

von einer „höheren“ Sprache und Rationalität, von einem höheren spiritiven Geist usf gesucht werden. Anfangs<br />

durch Konzepte wie Schönbergs Dodekaphonie, Hauers Tropenmusik, später durch serielle und viele andere<br />

Konzepte; am Ende jedoch durch die Realität: um wenigstens einen Schein von Unaussprechlichkeit höchster<br />

Güte fortzuführen, müssen sich die Werke der Kunstmusik bis an die Grenzen ihrer totalen Selbstauflösung<br />

verrätseln und sich selbst fremd werden. Und nur unter Einlösung dieser Idee musikalischer Irrationalität, die<br />

sich unschwer auf die Aporie einer Idee von musikalischem Denken sui generis, das den Zerfall verbindlicher<br />

Syntax und Idiomatik vollzieht, kann sich nochmals Geist, menschlicher, individueller, an und in Klängen<br />

epiphanieren. Hans Heinz Stuckenschmidt: „Aber die Tiefenwirkung beim Anhören solcher Musik ist<br />

unentrinnbar, ich ihr lebt etwas vom konzentrierten Geist unserer Zeit, eine Zauberkraft, die anders ist als die<br />

traditioneller Musik, doch deshalb nicht geringer.“ (In: Darmstädter Beiträge 1, 1958, S. 93.)<br />

Nicht ob die neue Zauberkraft „nicht geringer“ sei, mit der die Neue Musik ihr Wesen aushauche, sondern mit<br />

welcher neuen Zauberkraft durch neue Klänge ein neuer und welcher neue Geist gezaubert werde, dies wäre die<br />

zu stellende Frage gewesen. Daß sie tabuisiert wurde und wird, zeigt sich an den stets scheiternden Versuchen,<br />

die Neue Musik mit den Kategorien und Beschreibungen der Alten erfassen zu wollen. Auf Schönbergs und<br />

Weberns Musik die Kategorien und Beschreibungssprachen anwenden, die wir auf Mozarts und Beethovens<br />

Musik anwenden, führt in einen irrationalen „Mythos“, dessen gebrochene Selbstbeschwörungen zwar identisch<br />

mit der (neuen) Sache sind, nicht aber mit der ganzen Sache, in deren Ratio allein die Möglichkeit und die<br />

Notwendigkeit eines vernünftigen Vergleiches von altem und neuem „Zauber“ besteht.<br />

Weil die zwölftönige Reihe der Motivform deren Motivinhalt gibt, musste sie das Tragende, das vollziehbar<br />

Subkutane der dodekaphonen Gestalt sein; da sie dies zugleich nicht konnte, wohnte ihrem Müssen kein<br />

verbindliches Können inne, und die kompositorische Praxis geriet alsbald in den Abgrund der seriellen, die<br />

entsprechende Theorie in den Abgrund jener paradox sein sollenden Widersprüche, die uns die einschlägigen<br />

Schriften überliefern. Wechselbäder von apologetischen und verdammenden Urteilen über eine „Methode“ und<br />

Musik, die nichts sein wollte, als die weitergeführte einer großen Tradition, als die Sprache von neuen Mozarts<br />

und Tschaikowskys.<br />

Die peinliche Erinnerung an die illusorischen Lehrbücher der Zwölftontechnik (Jelinek, Krenek, Leibowitz<br />

u.v.a.) bestätigen die Aporie der Sache. Da sie etwas zu kanonisieren versuchten, was nicht zu kanonisieren war,<br />

fielen sich in den Abgrund zwischen einem „Meister“, der von der Kanonisierbarkeit seiner „Grundgestalten“<br />

und „Methoden“ überzeugt war, und seinem Widerdenker, der anders, wenn auch nicht bestimmt anders genug<br />

darüber dachte.“ - Adorno: „Wer Schönberg die Treue hält, müsste warnen vor allen Zwölftonschulen.“<br />

In der Aporie der Dodekaphonie, eine Synthese von ganz freiem und ganz strengem Verfahren sein zu müssen<br />

und zugleich nicht sein zu können, Freiheit und Notwendigkeit noch einmal zusammenzuzwingen, um dem<br />

drohenden Fluch der Kontingenz zu entgehen, war die Selbstteilung der bereits dodekaphon gebrochenen<br />

musikalischen Gestaltung in serielle Determination hier und aleatorische Indetermination dort, der Umschlag<br />

jener in diese, enthalten und vorbestimmt.<br />

33 „In seiner Vereinzelung erscheint die Gesellschaft.“ (Th. W. Adorno: Philosophie der neuen Musik. S. 51.) -<br />

Während die musikalische Moderne eine endlose Ausdifferenzierung der Ressourcen von Musik als Kunst<br />

annahm, verweigerte die gesellschaftliche Moderne Kredit und Glauben an diese Aporie einer ästhetischen und<br />

zugleich geschichtsmächtigen Substanz, die als immerwährende erneuerbar sein sollte.<br />

Darauf stieße Adorno aus innermusikalisch wiederholt, prägnant als er versuchte, einem „funktionalen“<br />

Kontrapunkt, als Resultante von motivisch-thematischer Arbeit und komplementärer Harmonik eine gleichfalls<br />

komplementäre Rhythmik beizugesellen, um nochmals die Idee einer integralen Syntax integraler Musiksprache<br />

zu konstruieren, in der Horizontale und Vertikale neu und doch nichtkontingent, eben syntaktisch und<br />

idiomatisch verbindlich vermittelt sein sollten. Dem dodekaphonen Melos sollte ein verbindlicher Kontrapunkt<br />

verbindlich - durch Gesetz und Regel - implementierbar sein. Aber da die neue Rhythmik des funktionellen<br />

Kontrapunkts nicht mehr ein Komponieren „punctum contra punctum, sondern ein lucus a non lucendo“<br />

(Nervenpunkte. S. 81.) sei, in dem daher weder die längen noch die Akzente der Tondauern zusammenfallen<br />

sollten, resultierte (worauf ihn Alexander Jemnitz aufmerksam machte) aus scheinbar größter rhythmischer<br />

Vielfalt totale rhythmische Monotonie.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!