ZUM PARADIGMENWECHSEL DER MUSIK IM 20 ... - leo-dorner.net
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dodekaphonen Intervallbeziehung deren Töne ebenso funktional eindeutig - nichtkontingent -<br />
bestimmt sein wie früher der durch seine harmonische Funktionalität in bestimmter<br />
Beziehung auch wirklich eindeutige Ton. (Jeder tonale Ton ist harmonisch mehrdeutig, aber<br />
nicht seine aktuelle Eindeutigkeit im konkreten musikalischen Zusammenhang liquidierend.)<br />
In der Reihe jedoch finden wir für jeden Ton lediglich einen Zählort, keinen harmonischmelodischen<br />
Funktionsort, der seine bestimmte Eindeutigkeit und Mehrdeutigkeit garantieren<br />
könnte. 19 Wie es in einer Reihe nicht anders sein kann, enthält sie lediglich die Summe<br />
Begründungen und Verabsolutierungen sowohl der physikalischen wie auch der mathematischen<br />
(„harmonikalen“) Theorien zu überwinden.<br />
Heute besitzen wir noch nicht einmal eine Theorie, die uns die synthetische Apperzeption der Parameter an<br />
Klang und Ton erklären könnte, daher auch keine, welche die Obertonreihe als unbewusste Perzeption (in jeder<br />
Apperzeption von Tönen) begriffe, die als Klangfarbe unmittelbar sowohl an Stimme wie an<br />
Instrumentalklängen wahrgenommen wird. Jedes Teiltonhören und -singen übersetzt bereits die perzeptive in<br />
eine apperzeptive Tätigkeit, - in ein konkretes musikalisches Tun. - Selbstverständlich findet sich daher auch der<br />
Grund für die absolut exklusive Harmoniefähigkeit des Dreiklanges nicht in der Obertonreihe; deren erste<br />
Teiltöne sind schon eine Setzung des vorausgesetzten Grundes Dreiklang, und diesem und seiner<br />
musikgeschichtlichen Aussprache, also nicht einer Explikation der Obertonreihe, folgte die abendländische<br />
Musik bis an ihr Ende, - nachdem sie sich seit dem Mittelalter auf den Weg einer vernunftgesetzten<br />
Mehrstimmigkeit begeben hatte, um deren Möglichkeiten als höchsten und innersten Wesensausdruck von<br />
Musik zu verwirklichen.<br />
19 Trotz fehlender Funktionsorte der Töne in ihrer Reihe dachte Webern die Reihe in einer Analogie zur<br />
diatonischen Skala und das Komponieren mit Reihen in einer Analogie zur polyphonen Kunst der Niederländer,<br />
da schon bei diesen „Reihe“ und „Thema“ äquivok gewesen seien. - Doch ist die diatonische Skala nicht Reihe,<br />
sondern ein hierarchisch strukturierter Kreis von funktional bestimmten Tonorten und -beziehungen; und die<br />
kontrapunktischen Grundformen von Imitation, Kanon, Umkehrung, Krebs und Krebs der Umkehrung setzen die<br />
Spiegelung der Töne an de Achse der Oktave in einem funktional bestimmbaren Klangraum voraus, ohne<br />
welche Spiegelungsfähigkeit jene Kontrapunkt-Akte sinnlos, weder vollziehbar noch vorstellbar sind. Nur<br />
illusionär gelten die Akte von Transponierung, Umkehrung, Krebs usf. für die Zwölftonreihe und das<br />
Komponieren mit ihr, da dieses nicht nur die Oktave außer Funktion setzt, sondern die Intervalle und Töne ihrer<br />
Zuordnung zu einer melodisch-harmonischen Einheit von Tönen beraubt. Die Spontaneität des dodekaphonen<br />
Komponierens ist unvermittelte und kontingente Setzung, sie kann von Willkürentscheidung nicht unterschieden<br />
werden. (Es gibt kein Kriterium für die Unterscheidung von richtigen und falschen Tönen).<br />
So wenig von der Reihe her über ein Kon- oder Dissonieren ihrer zu neutralen Distanzen („Sonanzen“)<br />
disqualifizierten Intervalle etwas auszumachen ist, so wenig ist aufgrund der Reihe und ihres „Systems“ eine<br />
neue Art Niederländischer Polyphonie zu begründen. - Anton Webern: „Alle zwölf Töne in einer bestimmten<br />
Folge - so müssen sie sich immer wieder abwickeln! Eine bestimmte Folge von zwölf Tönen ist immer wieder<br />
da. Und nun machen wir einen Sprung zurück zu den Meistern der zweiten niederländischen Schule! Da hat<br />
einer [!] eine Melodie gebildet aus den sieben Tönen, aber immer bezogen auf diese Reihe. Dasselbe [!]<br />
geschieht in der von Schönberg erfundenen Komposition mit zwölf aufeinander bezogenen Tönen. Gar nichts<br />
anderes!“ - Die beschließende Beschwörungsformel verrät die Unhaltbarkeit des Webernschen Analogiedenkens.<br />
Webern: „Nun ist die Analogie noch auszubauen, von den Niederländern ausgehen: Aus der Grundgestalt, dem<br />
Ablauf der zwölf Töne, können Abarten gebildet werden: Wir verwenden die zwölf Töne auch von rückwärts<br />
nach vorne - das ist der Krebs; dann in der Umkehrung - so wie wenn wir in den Spiegel schauen; und dann noch<br />
im Krebs der Umkehrung. Das sind vier Formen. - Was kann man aber mit diesen noch machen? - Auf allen<br />
Stufen [!] können wir sie errichten. Also 12 x 4 gleich 48 Formen. Auswahl genug! - Wir haben bisher mit<br />
diesen 48 Formen das Auslangen gefunden, mit diesen 48 Formen, die immer dasselbe sind. Wie man früher in<br />
C-Dur schrieb, so schreiben wir in diesen 48 Formen.“<br />
Offensichtlich war dem Theorie-Denken der Schönberg-Schule das Wesen von Tonalität bereits so „subkutan“<br />
geworden, - daher die Stunde einer falschen Euphorie folgte, in der es möglich schien, auch noch die Fährte des<br />
strengen Satzes abendländischer Mehrstimmigkeit fortzusetzen.<br />
Über die Nivellierung der Intervalle durch deren Dodekaphonisierung klagte Th. W. Adorno: „In der Übermacht<br />
der kleinen Sekunde und der von ihr abgeleiteten Intervalle der großen Septime und kleinen None hatte die freie<br />
Atonalität das chromatische und implizit das Dissonanzmoment festgehalten. Nun haben diese Intervalle keinen<br />
Vorrang mehr über die anderen. Nun sind die Intervalle zu bloßen Bausteinen geworden, und alle Erfahrungen,<br />
die in ihre Differenz eingingen, scheinen verloren. (Philosophie der neuen Musik. S. 71 und 75.) - Die Intervalle<br />
sterben den Tod ihres Ausdrucksvermögens durch dessen Auskonstruktion. Das „Übergeschlecht“ der Reihe war<br />
weder Analogie noch Fortsetzung (Weiterbildung, Erneuerung) jenes Dur-Moll-Systems am Beginn des 17.<br />
Jahrhunderts, das aus der Asche der diatonischen Hexachordialität modaler Polyphonie, die im harmonisch-