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ZUM PARADIGMENWECHSEL DER MUSIK IM 20 ... - leo-dorner.net

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Praxis aufzulösen, ist die Aporie, die im Inneren der musikalischen Moderne bereits vor Cage<br />

rumort. (Ästhetik kollabiert in Aisthesis und Anästhetik.) Als unstilisierter Ausdruck des<br />

Ausgedrückten, als Protokoll des Erlebten und Erlittenen, als Schock des Erfahrenen, als<br />

Demonstration des nackten novitären Materials ist jedes Werk zugleich Nichtwerk. (Was war<br />

- und ist bzw. wird - daher das traditionelle Meisterwerk des traditionellen Genies?) „Die<br />

einzigen Werke heute, die zählen, sind die, welche keine Werke mehr sind.“ (Th. W. Adorno:<br />

Philosophie der neuen Musik. Frankfurt 1958, S. 35.) Der ästhetische Schein, dem die<br />

traditionellen Werke Gesellschaftsauftrag und Autonomie verdankten, sei, da zum parvenu<br />

der Geschichte geworden, als Lüge zu demaskieren. Jeder ungebrochene Rückgriff auf<br />

universale Syntax und Idiomatik verleihe den Werken wieder jenen Schein von Versöhnung,<br />

der längst an die Unterhaltungsmusik delegiert wurde, die sich als Verhüllung und<br />

Selbstdemaskierung der Lüge vollzieht. Tödliche Selbsterkenntnis dort, ungebrochenes<br />

Lustigsein hier: die pseudointellektuelle Erregung des musikalischen Sinnes erholt sich in den<br />

musikalischen Spaßtempeln durch dessen Betäubung.<br />

Der Versuch, den Unterschied von traditioneller und moderner Stimmigkeit zu leugnen, gar<br />

diese als Steigerung von jener zu deuten, muß scheitern, auch wenn er sich mit autoritärer<br />

Geste und rhetorischer Beschwörung zu behaupten versucht. Unbeschadet der nachweisbaren<br />

Kontingenz des Materials, der Syntaxuntauglichkeit dodekaphoner Maximen, soll im<br />

nominalistischen Werk bald das Triebleben der Klänge, bald die entwickelnde Variation, bald<br />

die allesdurchdringende Durchführung und zuletzt der Kontrast das neue verbindliche<br />

Formgesetz sein, das nicht weniger verbindlich und nichtkontingent wirke als die<br />

Vermittlungen der traditionellen Musik. 36 Aber was auch immer als scheinbar verbindliches<br />

Formgesetz eingesetzt werden mag, es kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich nicht<br />

mehr um verbindliche Formen (für verbindlich-verbindende und darin versöhnende Inhalte),<br />

sondern nur mehr um verschiedene Reflexionsarten der frei gesetzten musikalischen<br />

Phantasie handelt, somit um die verschiedenen Müssensarten des modernen Komponisten, mit<br />

denen er sich im kontingenten Material kontingent zu bewähren hat. Und schon die<br />

Voraussetzug einer geschichtlichen Notwendigkeit im Kontingentwerden des Materials,<br />

wodurch sich angeblich nur einziges Material, eben das dodekaphone (oder „avancierteste“),<br />

als Substrat für nominalistische „Werke“ eigne, war demnach autoritärer Schulglaube, nicht<br />

36 „Der Kontrast ist als Formgesetz nicht weniger verbindlich denn der Übergang in der traditionellen Musik.<br />

Man könnte die spätere Zwölftontechnik recht wohl als System von Kontrasten, als Integration des<br />

Unverbundenen definieren.“ (Th. W. Adorno: Philosophie der neuen Musik. S:51.) - Ein Konjunktiv, der „recht<br />

wohl“ den Schein eines Definitivums erheischt, vermag nur schwerlich Adornos Einwände gegen seine eigene<br />

Beschwichtigung zu beschwichtigen. Etwa bereits in seinen Notizen zum geplanten Beethoven-Buch, in einer<br />

Anmerkung zur Kreutzersonate und der bei Beethoven noch lösbaren Antinomie von Ganzem und Teil im<br />

autonomen Werk: „Die Antinomie umschreibt die ganze neuere Geschichte der Musik bis hinauf zu Schönberg.<br />

Die Zwölftontechnik ist wohl ihre totalitäre Auflösung und daher mein Zögern vor der Zwölftontechnik.“ -<br />

Beethoven. Philosophie der Musik. Hrsg. v. Rolf Tiedemann, Frankfurt 1993, Fragment 57, S. 50.)<br />

„Es gibt kein anarchisches Zueinanderwollen der Klänge mehr, bloß ihre monadische Beziehungslosigkeit und<br />

die planenden Herrschaft über alle. Daraus resultiert erst recht der Zufall.“ (Philosophie der neuen Musik.<br />

Frankfurt 1958, S. 83.) - Die Ausführung der dodekaphonen Prämissen im Werk vollzieht sich als Montage der<br />

einander und in sich disparat gewordenen Parameter und Dimensionen, aber immer unter der Illusion, die<br />

Prämissen enthielten ein neues Programm zur Integration des Desintegrierten. Illusionär wird die Rede von einer<br />

konsistenten Formimmanenz der Werke. - Lediglich in den Obersätzen seines negativ dialektischen Denkens -<br />

dem logischen Ort der Identifizierung mit einer für nichtkontingent gehaltenen Sache - vollzieht Adorno den<br />

Gewaltakt der Dodekaphonie in selbst gewalttätigen Axiomen („Integration des Unverbundenen“ S. 51.) mit, in<br />

den Schlusssätzen wird ihre Unmöglichkeit ausgesprochen: die dodekaphonen Klänge seien das „Opfer der<br />

Musik an die Reihe“ (S. 83.), - Unverbundenes konnte nicht verbunden werden. - Die Sonde einer<br />

vorurteilslosen Dialektik Neuer Musik und ihrer Geschichte wird daher den Schein stimmiger Unmittelbarkeit in<br />

den dodekaphonen Prämissen bereits in ihren Obersätzen als leeren Schein, als Selbstmystifikation eines<br />

Komponisten von Werken, die nur durch Selbstverrätselung nochmals autoritäre Gefolgschaft hervorbringen<br />

konnten, erkennen müssen.

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