DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien
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therapieren, anzugreifen, zu sagen, was mir nicht gefällt“ und es als Rückzug bezeichnet,<br />
„wenn man sich jetzt in diesem Kunstbereich seine eigene Gemeinschaft baut und den Begriff<br />
des Sozialen durch den des Gemeinschaftlichen ersetzt, das aber durchaus noch eine<br />
zumindest individual-anarchoide Grundrichtung hat“ und damit die Volksbühne als „Sender“<br />
betrachtet, „wo ich ein bestimmtes Gedankengut in die Welt funken kann.“ 86 Zwei Jahre<br />
zuvor setzt er das Theater als Sender in die Vergangenheit. Bei Jörger heißt es:<br />
Theater war doch mal ein politischer Störsender! Heute kommt mir vieles vor<br />
wie der freiwillige Rückzug in eine wohl ausstaffierte Requisite, merkwürdig<br />
defensiv. Dahin, wo Theater keine Wut mehr hat, sich nicht mehr anlegt. 87<br />
Bei Detje äußert sich Castorf, dass „Gefühle [...] bei den Deutschen schon immer eine fatale<br />
Handlungskonsequenz zur Mystifizierung ausgelöst (haben) und die Attacke auf deutsche<br />
Gefühle ist deshalb ein politischer Akt, auch im Theater.“ 88 Hier plädiert Castorf <strong>für</strong> eine<br />
Attacke der emotionalen Ebene des Zuschauers, was grundsätzlich als Impuls zu einem<br />
transformativen Akt zu sehen ist.<br />
Mit dem dritten Ansatz Hockenbrinks ist die ideotextuelle Betrachtungsweise von<br />
(Dramen)Literatur, wie sie vorzüglich dem Regie-Theater der späten 1960er und 1970er Jahre<br />
zugewiesen werden kann, gemeint. Es wird eine Perspektive angenommen, die den<br />
literarischen Text im Rahmen zeitgemäßer, realpolitischer Dimensionen in einen theatralen<br />
Text transportiert, um die „politischen“ Dimensionen der Aktualität und Gegenwärtigkeit zu<br />
vermitteln. Die Auffassung, dass Theater dann „politisch“ sei, sobald es politische<br />
Themenbereiche einer Gesellschaft inhaltlich verhandle bzw. dass das Politische eines<br />
Theaters primär über den Inhalt eines Dramas zu definieren sei, darf wohl als die am<br />
weitesten verbreitete Ansicht und als allgemein akzeptiert gelten, zumal sich im Bewusstsein<br />
der Mehrheit Theater nach wie vor als interpretierende Aufführung von Dramenliteratur<br />
manifestiert. Diese allgemein verbreitete und akzeptierte Auffassung, politisches Theater<br />
behandle politische Themen, die im Idealfall auf literarischen Textvorlagen gründen, geht<br />
folglich von einem „textuellen“ Aufführungsbegriff aus, der das Politische mit der<br />
„referentiellen“ Funktion des Theaters, mit der Darstellung von Figuren, Handlungen, Orten,<br />
usw. parallelisiert. 89 Castorf sieht sich in der Tradition einer linksorientierten<br />
Gesellschaftskritik. Die Form der Romandramatisierung bekommt in seinen<br />
programmatischen Äußerungen auch einen gesellschaftskritischen und politischen Duktus,<br />
wenn er erklärt, „der Neoliberalismus glaube genau wie das traditionelle Drama an die<br />
86 Ebd. S. 447.<br />
87 Jörger, Gerhard: Ich hasse Verstellungskünstler In: Die Zeit 29/2001<br />
88 Schütt: Erotik des Verrats. S. 54.<br />
89 Vgl. Lehmann: Postdramatisches Theater. S. 456.<br />
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