DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien
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Bühnenraum mithilfe von Leinwänden, Bildschirmen und Kameras eröffnet neue<br />
Möglichkeiten, wie beispielsweise die Arbeit mit Parallelszenen auf der Bühne. Somit kann<br />
auf der Leinwand die von der Live-Kamera gefilmte Szene im Innenraum eines Containers<br />
gleichermaßen und gleichzeitig den Bühnenraum einnehmen, wie eine gespielte Szene auf der<br />
Vorderbühne, beziehungsweise im Außenraum des Containers.<br />
Bert Neumann verfolgt mit seinem Bühnenbild die Idee der Hermetik und nicht mehr die Idee<br />
der Transparenz und bricht damit die Konvention des Theaters, alles zu sehen und zu<br />
verstehen. Das nur mehr sichtbare Kamerabild ist nicht mehr direkt zuzuordnen, da im<br />
Eigentlichen nur der Ausschnitt eines Menschen wahrnehmbar ist. Dadurch ist die Lust und<br />
Fähigkeit zur Assoziationsbereitschaft des Publikums gefragt, welches sich das<br />
Bühnengeschehen zusammenzureimen hat. Es muss herausfinden und suchen, was tatsächlich<br />
passieren könnte. Auch hier ist die Bühne Realität, denn wie auch in unserer Wirklichkeit<br />
sehen wir nicht die Welt als Ganzes, sondern immer nur einen kleinen Ausschnitt davon.<br />
Dadurch setzt Frank Castorf „auf das Verfertigen der Gedanken im Kopf des Zuschauers<br />
beim konzentrierten Anschauen seiner metaphorischen Collagen, auf das Erkennen der<br />
assoziativen, auf den Punkt gebrachten, Figurensituationen.“ 117<br />
Ferner dienen die im Bühnenbild installierten Leinwände oder Fernsehbildschirme der<br />
Einspielung von Film- oder Werbezitaten. Zusätzliches Medium bildet eine LED-Leiste,<br />
welche an der Bühne angebracht wird, um Textfragmente oder inhaltlich wichtige Textzeilen<br />
abzuspielen. Neuere Entwicklungen im Castorfschen Theater kommentiert der Regisseur<br />
folgendermaßen:<br />
Natürlich ist das Deutsche Theater ein Abbildtheater. Was die Volksbühne zu<br />
sein scheint, wird ja überall zitiert: mal ironisch, mal mit viel Video, mit<br />
schreienden oder flüsternden Schauspielern. Das sind interessante Formalitäten,<br />
aber was soll da benannt werden? Das System muss man wieder kenntlich<br />
machen. Das kann absolut konservativ sein, mit Menschen, die einfach nur<br />
dasitzen und ihren Text sagen. Mit Video arbeite ich schon lange nicht mehr,<br />
weil ich die wackelnden Handkameras nicht mehr sehen kann. 118<br />
Durch die entstandenen Aversionen Castorfs gegenüber „wackelnden Handkameras“ wird<br />
dieses Element, welches sein Theater einst charakterisierte, in Zukunft nicht mehr zu finden<br />
sein. Im Unterschied zu anderen postdramatischen Regisseuren verwendeten Neumann und<br />
117 Detje: Provokation aus Prinzip, S.14.<br />
118 „Castorf und Rosinski weiden den Theaterkörper aus“ Interview, Berliner Morgenpost online, 23.Oktober<br />
2009 (http://www.morgenpost.de/kultur/berlin-kultur/article1195036/Castorf-und-Rosinski-weiden-den-<br />
Theaterkoerper-aus.html (Letzter Zugriff: 15.08.2010)<br />
Anm.: Dem entgegen arbeitete Castorf in seiner neuesten Inszenierung Nach Moskau! Nach Moskau!<br />
(Uraufführung am 25.05.2010 im Mossowjet-Theater, Moskau) sehr wohl wieder mit Kamera und<br />
Leinwandprojektion. Die Kamera wurde jedoch nicht mehr von Schauspielern, sondern von einem Kameramann<br />
geführt.<br />
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