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DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

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menschliches, anthropologisches unter der Oberfläche, ohne unpolitisch oder unhistorisch zu<br />

werden.“ 133 Durch diese Arbeitsweise entstand sein mediales Image des „notorischen<br />

Stückezertrümmerers“, er selbst bezeichnet es als „Prinzip des forcierten Eklektizismus.“ 134<br />

Als wichtige Komponente im Prozess der Erarbeitung eines Stückes ist die Menschlichkeit<br />

und Biographie der Schauspieler, da Castorfs Arbeit auch einen psychologischen Aspekt<br />

impliziert:<br />

Frank Castorf interpretiert das, was die Schauspieler auf die Probe mitbringen<br />

als eine Krankenvorgeschichte, welcher er sich wie ein Psychiater zu nähern<br />

versucht. [Er] diagnostiziert [...] seine Schauspieler wie ein Arzt, verschreibt<br />

Regieanweisungen und entwickelt während den Proben eine Therapie. Das<br />

Erlebnis der befreiten Schauspieler auf der Bühne soll die Zuschauer selbst<br />

befreien und aus ihren eigenen Hierarchieverhältnissen herauslösen. 135<br />

„Nicht auftreten, sondern sich sehen und gehen lassen. Keine Affekte aufbauen, sondern<br />

Triebe abführen. Nicht Protagonist sein, sondern „Gefühlsepileptiker“. Wenn doch auftreten,<br />

dann ironisch oder hysterisch oder cool.“ 136<br />

Durch die Dichte der von Castorf verarbeiteten Stoffe, seinen Intertextualitäten und<br />

Intermedialitäten sowie den Verfahrensweisen von Montage und Collage entstehen<br />

Interpretationsspielräume, die ein umfangreiches kulturelles Wissen erfordern und zu einer<br />

rezeptionstheoretischen Auseinandersetzung führen. Eine Inszenierung Frank Castorfs<br />

verlangt gesellschaftliches und kulturelles Allgemeinwissen der Generationen ab, letztendlich<br />

wird ein allumfassendes Verstehen des Gesehenen nicht möglich sein, da Castorf mit seinem<br />

eingesetzten Theatermittel der Überforderung durch das kulturelle Zitat eben gerade dieser<br />

Affirmationssucht des Publikums entgegenzuwirken weiß.<br />

133 Fiebach: Manifeste europäischen Theaters. S. 442.<br />

134 Jörger, Gerhard: Ich hasse Verstellungskünstler. In: Die Zeit 29/2001<br />

135 Detje: Provokation aus Prinzip. S., 151.<br />

136 Kümmel, Peter: Springteufel der Lüste. Sind die deutschen Bühnen in den Händen der Pornografen? Ein<br />

Versuch über den Regisseur Frank Castorf. In: Die Zeit 07/2003.<br />

Anm.: Kümmel weist beim Begriff „Gefühlseptileptiker“ auf die Wortschöpfung Fritz Kortners hin.<br />

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