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DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

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kann mich nicht erinnern, dass er irgendwas gesagt hätte. Und dann haben wir<br />

es eben gemacht. 111<br />

Charakteristisch <strong>für</strong> das Castorfsche Theater ist die absolute Nutzung des Bühnenraums mit<br />

Einbezug der Drehbühne. Bert Neumann baute 1999 <strong>für</strong> Castorfs Inszenierung von<br />

Dostojewskis Dämonen zum ersten Mal einen Container <strong>für</strong> die Bühne, welcher auch<br />

wegweisend <strong>für</strong> viele weitere Inszenierungen wurde. Auch andere Regisseure, darunter<br />

beispielsweise René Pollesch, fanden in Neumanns Containerprinzip eine Nutzung <strong>für</strong> ihre<br />

Stücke. Der Container als Versteck auf offener Bühne, welcher der unsichtbaren Vierten<br />

Wand, die Publikum und Bühne trennen, weitere vier Wände hinzufügt. Das Arrangement aus<br />

Panoramafenstern und Jalousien aus der väterlichen Eisenhandlung 112 appellieren an den<br />

Voyeurismus des Publikums. Jede Abschürfung, Emotion, Intensität was eine Natürlichkeit<br />

der Wirkung erzeugt 113 , wird sichtbar. An dieser Stelle wird auch ein psychoanalytischer<br />

Aspekt deutlich: Das Spiel mit dem Begriff des Containers.<br />

Unsere Eltern, sagen die Therapeuten, sollen sich uns als Container <strong>für</strong> unsere<br />

Ängste, Sehnsüchte und einander dramatisch widersprechenden Gefühle zur<br />

Verfügung stellen, bis wir selber lernen, mit ihnen umzugehen. Wenn sie<br />

scheitern, müssen wir mühsam lernen, eigene Container zu bauen, Behältnisse,<br />

in denen wir unser Innenleben auf entlastende Weise dramatisieren können. 114<br />

Das Bühnenbild bildet eine Einheit mit Handlung und Figuren einerseits und kongruiert mit<br />

dem Bruch von Handlung und Figur als optische Verstärkung. Ein anschauliches Beispiel<br />

hier<strong>für</strong> findet sich im Stück Dämonen, als sich in der 19. Szene der Container öffnet,<br />

Sperrholzplatten zu Boden krachen und das gesamte Bühnenbild dekonstruiert wird.<br />

Ähnliches ereignet sich in Nord. Eine Grandguignolade und auch in einem weniger<br />

drastischen Ausmaß in Berlin Alexanderplatz, wenn ein Auto durch eine Bretterwand auf die<br />

Bühne fährt. Auswirkungen hat das Bühnenbild auch auf das Verhalten der<br />

SchauspielerInnen, wenn sie nicht mehr durch Türen, sondern durch den offenen Container<br />

zwischen den nicht mehr existenten Innen- und Außenräume der Bühne treten. Ein neuer<br />

Raum entsteht und die gesellschaftlichen und politischen Strukturen, in welchen sich die<br />

Protagonisten zuvor bewegt haben, sind zerstört und liegen ungeordnet am Boden. Die<br />

111 Neumann, Bert: Imitation of Life, Berlin: Theater der Zeit 2001, S.192.<br />

112 vgl. hierzu Balitzki, Jürgen: Castorf der Eisenhändler. Berlin: Ch. Links 1995.<br />

113 Vgl. Philipp, Claus und Niedermeier Cornelia: „Es gibt zu wenige Anarchisten“ Frank Castorf im Gespräch<br />

In: Fiebach, Joachim: Manifeste europäischen Theaters. Grotowski bis Schleef. Berlin: Theater der Zeit 2003,<br />

Recherchen 13. S. 450<br />

114 Detje: Provokation aus Prinzip. S.239.<br />

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