18.07.2013 Aufrufe

DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Ausgelassenheit, d.h. Lebenszustände, die transzendieren und dem „poetischen Zustand“<br />

verwandt sind. 95 Weiters fordert Artaud, „dass es nicht darum geht, das Publikum mit<br />

transzendenter kosmischer Unruhe zu langweilen oder metaphysische Ideen in direkter Form<br />

auf die Bühne zu bringen, sondern um die Erzeugung von „Versuchungen“.“ 96<br />

Die Absage an ästhetische Unverbindlichkeit, die in der Konzeption des<br />

Theaters als reiner Aktion liegt, ist letzten Endes, gesellschaftlich gesehen,<br />

illusorisch. Die reale Aktion, die darauf verzichtet Verhältnisse historisch<br />

rational zu erfassen und nur blindes unmittelbares Verhalten der Beteiligten<br />

hervorruft, kann nicht über den Prozess des Theatermachens selbst, also über<br />

den künstlerischen Bereich herauswirken. 97<br />

Castorf arbeitet mit der Bewusstheit der Grenzen des Theaterkonzepts und spielt mit dem<br />

dialektischen „Spannungsfeld zwischen gesellschaftlichen Prozessen und individuellen<br />

Verstrickungen“. 98<br />

1989 verwies Castorf in einem Interview 99 zu seiner Theaterarbeit auf die Produktionsästhetik<br />

Awatows und organisations-ästhetischen Versuche Bogdanows in den 20er Jahren, die er als<br />

Einfluss <strong>für</strong> seine Arbeit nennt.<br />

Das hat damit zu tun, dass ich von der Theatertradition Stanislawskis komme<br />

[...]. Andererseits ist mir Brecht wichtig, <strong>für</strong> den jede Situation, in die ein<br />

Mensch hineingestellt ist, eine soziale und gesellschaftliche ist. Bei Stanislawski<br />

dagegen ist mir das Spiel wichtig, die Zeit, die Natürlichkeit. Ein logischer<br />

Entwicklungspunkt innerhalb dieser Linie ist <strong>für</strong> mich Becketts „Spiel ohne<br />

Worte“[...]. Dieser Kontext von extremer Konstruktion und [...]<br />

Glaubwürdigkeit psychologischer Art interessiert mich sehr, Brecht und<br />

Stanislawski im gleichen Augenblick auf der Bühne. 100<br />

Stanislawskis neuer Ansatz, der individuelle Erfahrungen, Erlebnisse und Emotionen mit der<br />

dramatischen Rolle des Schauspielers verbindet, soll von Seiten des Darstellers eine stärkere<br />

Identifikation und Einfühlung mit der Figur erzielen. So werden neben jenen im Text<br />

verankerten Handlungen auf jene real verfügbaren Handlungsmöglichkeiten gedanklich<br />

durchgespielt. Die individuellen Erfahrungen und biographischen Vorgeschichten der<br />

Schauspieler werden von Stanislawski berücksichtigt und sollen durch die natürliche<br />

Darstellung eine dramatische Rolle aufwerten. Obgleich dieser intensiven<br />

Auseinandersetzung Stanislawskis mit den Darstellern und ihren individuellen Geschichten,<br />

trägt der Ansatz den Aspekt der Illusion in sich, welcher erst mit Brecht aufgelöst wird.<br />

95<br />

Vgl. Prager, Michael: „Lebendige Hieroglyphen. Bali, Artaud und das Theater der Grausamkeit.“ In: Köpping,<br />

Klaus-Peter (Hg.): Im Rausch des Rituals. Gestaltung und Transformation der Wirklichkeit in körperlicher<br />

Performanz. Hamburg: Lit 2000. S.203.<br />

96<br />

Vgl. Ebd.<br />

97<br />

vgl. Wilzopolski: Theater des Augenblicks. S. 249.<br />

98<br />

Vgl. Ebd.<br />

99<br />

Becker, Peter und Merschmeier, Michael: „Ich möchte nicht in den Untergrund“. Theater Heute Gespräch mit<br />

dem Ostberliner Regisseur Frank Castorf. In: Theater Heute 12/1989. S. 21.<br />

100<br />

Wilzopolski: Theater des Augenblicks. S. 248.<br />

29

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!