DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien
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des Darstellers gegenüber der Ebene des Textes gemein ist und <strong>für</strong> Castorf ein ergänzendes<br />
Zusammenspiel von beiden Ansätzen in seiner Theaterästhetik Anwendung findet.<br />
Der Begriff des Postdramatischen wurde erstmals von Hans-Thies Lehmann als Terminus<br />
einer Beschreibung eines ganzen Feldes gegenwärtiger Theaterformen vorgeschlagen und ist<br />
seit Erscheinen seines Grundlagenwerkes Das Postdramatische Theater 105 in der<br />
Auseinandersetzung mit zeitgenössischem Theater auf wissenschaftlicher wie auch<br />
journalistischer Ebene unverzichtbar. Er situiert den Gegenstand in einer historischen<br />
Perspektive „nach“ dem dramatischen Theater. „Nach“ im Verständnis eines „Nicht“ oder<br />
„Nicht-mehr“ und somit einem „Nach“ der Geltung des Paradigmas Drama im Theater als<br />
bestimmte Negation des Dramatischen. Das Nach- oder Nichtmehrdramatische geht, nach<br />
Lehmann, aus dem Dramatischen selbst, durch dessen Selbstreflexion, hervor. 106<br />
Der Begriff signalisiert, indem er auf die literarische Gattung des Dramas anspielt, den<br />
fortbestehenden Zusammenhang und Austausch zwischen Text und Theater. Der Diskurs des<br />
Theaters steht hier im Zentrum und die Rolle des Textes wird als enthierarchisiertes Element,<br />
als Schicht oder Material, der szenischen Gestaltung gesehen. 107 Der dramatische Text gilt<br />
fortan nicht mehr länger als Vor-Schrift, sondern wird, wenn er „in Szene gesetzt wird, als<br />
gleichberechtigter Bestandteil eines gestischen, musikalischen und visuellen<br />
Gesamtzusammenhangs begriffen. Der Spalt zwischen dem Diskurs des Textes und dem des<br />
Theaters kann sich öffnen bis zur offen ausgestellten Diskrepanz und sogar<br />
Beziehungslosigkeit.“ 108 So sind im Postdramatischen Theater alle Ereignisse zu Zeichen<br />
ihrer Selbst geworden und dementsprechend gleichwertig.<br />
Die Theatermittel befreien sich von ihrer mimetischen Loslösung an die Welt.<br />
Für das postdramatische Theater gilt nun, dass der schriftlich und/oder mündlich<br />
dem Theater vorgegebene Text und der – im weiteren Sinne des Wortes –<br />
»Text« der Inszenierung (mit Spielern, ihren »paralinguistischen« Ergänzungen,<br />
Reduktionen oder Deformationen des linguistischen Materials; mit Kostümen,<br />
Licht, Raum, eigener Zeitlichkeit usw.) von einer veränderten Auffassung des<br />
Performance Text her in neue Betrachtung gesetzt werden. 109<br />
Dieses Phänomen lässt sich als immer wiederkehrender Versuch des Theaters<br />
charakterisieren, sich der Vorherrschaft eines Anspruchs, der mit einem bestimmten<br />
Verständnis von dramatischer Literatur verbunden scheint, zu entledigen.<br />
105<br />
Lehmann, Hans-Thies: Das Postdramatische Theater. Frankfurt a.M.: Verlag der Autoren, 1999.<br />
106<br />
Vgl. ebd, S.13.<br />
107<br />
Vgl. ebd.<br />
108<br />
Weiler, Christel: Glaubensfragen – postdramatisch. In: Primavesi, Patrick und Schmitt, Olaf: AufBrüche.<br />
Theaterarbeit zwischen Text und Situation. Berlin: Theater der Zeit 2004. S. 44 – 52. S. 45.<br />
109<br />
Lehmann: Postdramatisches Theater, S. 145<br />
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