18.07.2013 Aufrufe

DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

wäre durch Improvisation praktisch zu überwinden.“ 122 Frank Castorf möchte die<br />

Komplexität des Alltags auf der Bühne inszenieren und „andere Stoffe haben, eine andere<br />

Härte des Denkens.“ 123 Andere Stoffe, welche ein Mit-Denken fordern, werden durch die<br />

Dramatisierung komplexer und umfangreicher Romane möglich.<br />

Die Auswahl seiner Grundlagentexte, welche er <strong>für</strong> die Bühne adaptiert, erfolgt bei Frank<br />

Castorf aufgrund persönlicher Interessen in Bezug auf einen Autor oder eine Geschichte.<br />

Plot, zeitpolitischer Hintergrund und Wirkungsgeschichte seiner Basisliteratur sind bei der<br />

Wahl des Textes gleichermaßen wichtig wie die Biographie der Autoren.<br />

Ferner ist als wichtiger Aspekt in der Auswahl seiner Texte auch die inhaltliche<br />

Kompatibilität mit der Stadt Berlin und dem Gegenwartsgeschehen, in die er seine<br />

Geschichten setzt, zu nennen. 124<br />

Die Arbeitsgrundlage zu Beginn der Probephase einer Inszenierung bei Frank Castorf ist der<br />

Grundlagentext. Vorgefertigte Texte oder ausgearbeitete Regieanweisungen existieren<br />

nicht. 125 Frank Castorfs Probenarbeit ist passiv und ohne Gliederung. Der Regisseur lehnt<br />

vorgefasste Konzeptionen ab und beharrt darauf, sich den Proben wehrlos auszusetzen. Aus<br />

der Passivität entsteht die Inspiration. 126 Detje beschreibt den Ablauf der Proben und damit<br />

verbundene Entstehungsphase der Textfassung folgendermaßen:<br />

Es darf nicht nach Arbeit aussehen. Das Ensemble deutet alles nur an. Was ihm<br />

nicht gefällt, wird sofort verworfen. Wenn ihm etwas gefällt, schlägt der<br />

Regisseur zu und begründet in einem endlosen, komplizierten und <strong>für</strong><br />

Uneingeweihte leider völlig unverständlichen Monolog, warum die Szene so, nur<br />

so gespielt werden kann. [...] Das einmal Gefundene wird nicht etwa eingeübt,<br />

sondern sofort fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel: Weiter im Text! Die<br />

Assistentin führt Buch und erstellt die eigentliche Dramatisierung des Romans,<br />

eine Textvorlage mit genauen Spielanweisungen, die in den Durchlaufproben [...]<br />

rekonstruiert werden muss. Dann wird es endlich anstrengend, und das<br />

Freizeitverhalten auf den vergangenen Probenwochen rächt sich <strong>für</strong>chterlich. Auf<br />

der Premiere sind die Schauspieler meistens noch Suchende. Die Improvisation ist<br />

heilig, ein Mittel zum Zweck der Authentizität, der Unmittelbarkeit, des<br />

„Echten“. 127<br />

Die Arbeitsphasen beschränken sich im Durchschnitt auf 6 Wochen, wovon 4 Wochen lang<br />

versucht wird, in einem anti-hierarchischen Arbeitsprozess einen Roman <strong>für</strong> die Bühne zu<br />

adaptieren. Die Besonderheit an der Textarbeit Frank Castorfs ist die Autorenfunktion. Diese<br />

122<br />

Fiebach, Joachim: Manifeste europäischen Theaters. S. 18.<br />

123<br />

ebd.<br />

124<br />

Beispiele hier<strong>für</strong> sind seine Inszenierungen von NORD, Dostojewkis Schuld und Sühne, Der Idiot,<br />

Erniedrigte und Beleidigte und ganz besonders, das später besprochene Berlin Alexanderplatz nach Alfred<br />

Döblin.<br />

125<br />

Anm.: Gelegentlich lässt Castorf Bühnenfassungen „zur Orientierung“ anfertigen.<br />

126 Detje: Provokation aus Prinzip. S. 139.<br />

127 Ebd. S.233.<br />

37

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!