DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien
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Selbstaufopferung oder auch die Hingabe an das eigene Schicksal verkörpert. Von diesem<br />
Basisverständnis ausgehend, folgen religiöse oder die Opfer-Thematik in den Vordergrund<br />
stellende Interpretationen wie beispielsweise von Muschg, der das Motiv des Schlachthofs als<br />
„Sinnbild des Daseins“ versteht:<br />
Zum Dasein gehört das Opfer, denn furchtbarerweise ist Leben nicht denkbar<br />
ohne Vernichtung [...] Das höchste Opfer ist die Selbstüberwindung, wie<br />
Abraham sie vollbrachte. Sie [...] führt auch Biberkopf aus der Todesmühle<br />
hinaus. Als Hilfsportier in einer Fabrik findet er den Weg in die Gemeinschaft<br />
[...] 161<br />
Auf das Gesamtwerk Döblins bezogene Interpretationen finden sich beispielsweise bei<br />
Müller-Salget 162 , Elm 163 und Düsing 164 , welche auf Parallelen der Naturphilosophie des<br />
Autors und der Auseinandersetzung von Individuum und Gesellschaft hinweisen.<br />
Der Roman Berlin Alexanderplatz vereinigt inhaltlich wie strukturell den<br />
Widerspruch, der aus dem Wesen des Menschen, aus dem Autonomiebestreben<br />
des Ich und aus der Naturgebundenheit der Person resultiert. 165<br />
Dieser Lesart zufolge handelt der Roman nicht von einer Bekehrung Biberkopfs im religiösen<br />
Sinn, sondern in erster Linie um die Erkenntnis der eigenen Stellung in der Welt, die den<br />
Glauben an ein übermächtiges Schicksal zerstört und dadurch erst bewusstes Handeln<br />
ermöglicht.<br />
Auch im Kontext der Romandramatisierung Frank Castorfs ist das Ende als eine von vielen<br />
möglichen Interpretationen oder als Kommentar zur epischen Grundlage zu betrachten, da<br />
auch er das Motiv des Schlachthauses in seiner Interpretation des Schlusses wieder aufgreift.<br />
Dieses Motiv wird im Kapitel der Textanalyse noch expliziter beschrieben werden.<br />
Der im Roman weniger interessante Aspekt der Handlung korreliert mit dem der Spannung.<br />
In seinen Bemerkungen zum Roman kommentiert Döblin seine literarischen Ansichten zum<br />
Element der Spannung:<br />
Die Spannung ruiniert den Roman, […]. Die Verfasser vergessen zusehends<br />
mehr, dass sie Epik produzieren sollen, sie drängen immer mehr auf das Drama,<br />
auf Konfliktschürzung und –lösung [...] Es hat sich in den Roman etwas<br />
eingezwängt […]: Die Sucht nach Zusammendrängung, klipp und klarer<br />
Problemstellung, eine abstrakte Strenge, Balkenversteifung, entschlossene<br />
Abdachung und Beendung. 166<br />
161<br />
Muschg, Walter: Nachwort zu Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz. München 1997.S. 519.<br />
162<br />
Müller – Salget, Klaus: Alfred Döblin. Werk und Entwicklung. Bonn: Bouvier 1988.<br />
163<br />
Elm, Ursula: Literatur als Lebensanschauung. Zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Alfred Döblins<br />
Berlin Alexanderplatz.Bielefeld: Aisthesis 1991. S. 95<br />
164<br />
Düsing, Wolfgang: Erinnerung und Identität. Untersuchungen zu einem Erzählproblem bei Musil, Döblin und<br />
Doderer. München: Fink 1982. S. 139.<br />
165<br />
Müller-Salget, Klaus: Alfred Döblin. Werk und Entwicklung. Bonn: Bouvier 1988.<br />
166<br />
Döblin, Alfred: Bemerkungen zum Roman. In: Ders. Schriften zu Ästhetik, Poetik und Literatur. S.123 – 124.<br />
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