Bewährte wege - Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien
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Von horizonT zu horizonT<br />
6 Essay<br />
ich bin in den 60er-Jahren nach wien gekommen, und es ist mir bis heute nicht so recht gelungen, ein<br />
stadtmensch zu werden. in einer zeit, in der Landflucht für niederösterreich ein leider sehr aktuelles Thema<br />
darstellte, war für mich das Gegenteil reizvoll und interessant: stadtflucht. Mit der neugier des fremden<br />
habe ich niederösterreichs regionen kennengelernt, die Landschaft, die kleinen städte, die dörfer. die<br />
Vergangenheit schien damals im alten Kernland Österreichs keine zukunft zu haben. was nicht modern<br />
war, war von gestern und damit allenfalls von musealem wert. Mit dem Glauben an eine herrliche neue zeit,<br />
aus plastik und Beton geformt, ging Bescheidenheit einher, die keine Tugend war, sondern eine schwä-<br />
che, die resignation meinte, bis hin zur selbstverleugnung. Vielfach war es nur der Mangel an Möglichkeit,<br />
der das Erbe bewahrte. fehlt es an Geld für den neubau, bleibt eben das alte Gemäuer stehen. Mich hat<br />
damals diese merkwürdige spannung zwischen brüchig gewordenen strukturen einer überkommenen<br />
zeit und bedenkenlosem neubeginn fasziniert. diese spannung war ja auch in mir: die sehnsucht nach<br />
alten Gassen und behäbigem Bauernland, die trotzige Begeisterung für nylonhemd und steak hawaii.<br />
Erst viele Jahre später habe ich erkannt, dass diese ambivalenz durchaus Tradition im Lande hat. altes<br />
und neues traten in der Vergangenheit zueinander womöglich noch radikaler in Beziehung als in unserer<br />
vordergründig so kontroverseren Gegenwart. im späten zwölften Jahrhundert wurden aus Burgsiedlungen<br />
städte, aus Burgleuten Bürger. diese neue welt verlangte nach einer neuen ordnung: städtische strukturen<br />
für Verwaltung und Versorgung, eine komplexe Ökonomie mit arbeitsteiliger spezialisierung von handel<br />
und handwerk. renaissance und Barock ließen dann in vielen städten kaum einen stein auf dem anderen,<br />
wertlos gewordene Burgen mussten schlössern weichen, Geplantes ersetzte Gewachsenes. der nächste<br />
radikale umbruch wurde von dampfmaschine und Eisenbahn erzwungen: das rasante wachstum der<br />
städte brachte erst die Verdichtung der zentren mit sich, dann die ausdehnung an den rändern – die<br />
Verödung der stadtkerne hat Tradition, und sie ist aktueller denn je. auch wenn die alten zentren heute<br />
ihre würde wiederhaben, wird dennoch Kaufkraft an den rand verlegt, entstehen wohnhäuser im Grünen,<br />
damit auto unser nur ja seinen platz vor der Tür hat. die identitätskrise der dörfer begann mit dem Erstar-<br />
ken der städte. und es ging beschaulich zu auf dem Lande: Bäuerliches Leben war über Jahrhunderte<br />
von rechtlosigkeit und feudaler willkür bestimmt, an deren stelle wirtschaftliche zwänge traten. nieder-<br />
österreich, dereinst zentraler schauplatz der donaumonarchie – gleichviel, ob es um schlachtfelder oder<br />
residenzen ging – sah sich nach dem Ersten weltkrieg an den rand gerückt, war seiner angestammten<br />
Märkte ledig. dann, in der zweiten republik, ein viel zu großes wien inmitten, ringsum ausgebeutetes, aus-<br />
geblutetes Land. Eine eigene hauptstadt gab es erst recht nicht. wozu auch? Es hat dann ziemlich lange<br />
gedauert, bis sich die politik und die Bürger niederösterreichs an eine Metropole herangewagt haben, die<br />
nicht an der donau, sondern an der Traisen liegt.<br />
Von horizonT zu horizonT<br />
niederösterreich schien ja lange zeit wirklich weitab vom Trend zu liegen. Letzteres aber fanden einige<br />
muntere Querköpfe im Lande gar nicht beunruhigend, sondern höchst anregend. Es ist nämlich viel span-