Dialog 20.indb - Stiftung Demokratie Saarland
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Was ist <strong>Demokratie</strong>?<br />
riablen zurückgestellt werden. Hinzu kommt, dass Dahl die Polyarchie ausdrücklich<br />
als graduelles Konzept verstanden wissen will. Indem er zwischen<br />
starken und schwachen Polyarchien sowie quasi-polyarchischen Systemen<br />
unterscheidet, relativiert er die von ihm selbst festgelegten Kriterien und verschiebt<br />
damit zugleich die Grenzen zur Nicht-Polyarchie. In der empirischen<br />
Anwendung führt dies zu einer annähernden Verdoppelung der Polyarchien<br />
zwischen Ende der sechziger und Mitte der achtziger Jahre, die von den tatsächlichen<br />
Erfolgen oder Misserfolgen der Demokratisierung in diesem Zeitraum<br />
ein falsches Bild gibt.<br />
<strong>Demokratie</strong> als Staatsform und Lebensform<br />
Der institutionell verengte <strong>Demokratie</strong>begriff der Polyarchie übersieht, dass<br />
<strong>Demokratie</strong> nur nach der einen Seite etwas den Staat Betreff endes ist. <strong>Demokratie</strong><br />
ist zugleich eine Lebensform, ein allgemeines Gestaltungsprinzip sozialer<br />
Beziehungen und mithin ein gesellschaft liches Phänomen. <strong>Demokratie</strong><br />
als Lebensform besagt, dass der Geist und die Prinzipien der staatlichen Ordnung,<br />
wie sie sich in der Verfassung und im Regierungssystem widerspiegeln,<br />
von den Ordnungsvorstellungen einer Gesellschaft nicht zu trennen sind. Eine<br />
autoritäre Gesellschaft könnte einen demokratischen Staat weder stützen noch<br />
dauerhaft legitimieren (Mols 1985: 33). 2<br />
<strong>Demokratie</strong> in diesem Sinne gründet in einem von emanzipatorischen Werten<br />
getragenen Menschenbild. Ihr liegt der Glaube zugrunde, dass der Mensch,<br />
„wenn man ihn nur von den Fesseln einer ihn in seiner Entfaltung behindernden<br />
gesellschaft lichen Zwangsordnung befreie, auf Grund und mit Hilfe seiner<br />
Vernunft sein eigenes Leben und das der Gemeinschaft rational gestalten könne“<br />
(Friedrich 1959: 561). Dieser Glaube verdichtet sich im Ideal des selbstbestimmten<br />
und in dieser Selbstbestimmung gleichberechtigten Bürgers, das die<br />
2 Dies bedeutet nicht, dass die gesellschaft lichen Beziehungen nach denselben demokratischen<br />
Prinzipien organisiert werden müssen wie die staatliche Ordnung. Neben die demokratische<br />
Mehrheitsentscheidung treten als weitere Formen sozialer Konfl iktregelung der Austausch<br />
(Markt), die Verhandlung und die Hierarchie. Der Einsatz bzw. das Mischungsverhältnis der<br />
Regeln bestimmt sich nach den Gegebenheiten und funktionellen Erfordernissen des jeweiligen<br />
Entscheidungsbereichs. Demokratische Prinzipien haben dort ihren Platz, wo es um gesamtgesellschaft<br />
liche Angelegenheiten geht und die Entscheidungsbetroff enen sich als Gleiche begegnen. In<br />
den partikularen Bereichen der Gesellschaft , in denen zumeist reine Sachzwecke im Vordergrund<br />
stehen und die Beziehungen der Beteiligten untereinander durch Ungleichheit gekennzeichnet<br />
sind, bleiben sie den anderen Regelungsprinzipien nachgeordnet (Buchheim 1973: 44 ff .).