Mitteilungen der Gesellschaft für Buchforschung in Österreich 2006-1
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G ERTRAUD M ARINELLI-KÖNIG Buchgeschichte <strong>der</strong> Südslaven<br />
Serbien<br />
Die serbische Schriftsprache<br />
„Der älteste Satz <strong>in</strong> menschlicher Sprache: ‚Bärgött<strong>in</strong> und Vogelgött<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d wirklich<br />
die Bärgött<strong>in</strong>‘. Am Balkan – und nicht im Zweistromland – f<strong>in</strong>den sich die<br />
ältesten Zeugnisse menschlicher Sprache, auf 7000 alten Tonscherben (…)“.<br />
So lautet e<strong>in</strong>e jüngst erschienene Zeitungsmeldung. E<strong>in</strong>em amerikanischen<br />
Forscher sei es gelungen, e<strong>in</strong>en Satz <strong>der</strong> V<strong>in</strong>ča-Schrift, benannt nach e<strong>in</strong>em<br />
1908 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Vorort von Belgrad gemachten Fund, zu entziffern. 82 Dies nur<br />
als e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis darauf, dass nicht nur Griechenland, son<strong>der</strong>n die gesamte<br />
Balkanhalb<strong>in</strong>sel <strong>für</strong> die Ur- und Frühgeschichte Europas von größter Bedeutung<br />
ist.<br />
Die erste von Stankiewicz angeführte serbische Grammatik, verfasst von<br />
Avram Mrazović, erschien 1794 <strong>in</strong> Wien. Sie war <strong>für</strong> den Schulunterricht vorgesehen<br />
und beschrieb die Regeln <strong>für</strong> die slavenoserbische Kirchensprache, also<br />
<strong>für</strong> jene Büchersprache, welche bei orthodoxen Serben und Rumänen über<br />
Jahrhun<strong>der</strong>te als l<strong>in</strong>gua sancta <strong>in</strong> Verwendung stand. Diese Grammatik erfuhr<br />
weitere vier Auflagen (1800, 1811, 1821, 1840) 83 , gedruckt wurden diese<br />
jedoch <strong>in</strong> Buda (Budapest), da die slavenoserbischen Lettern <strong>der</strong> Kurzböck’schen<br />
Druckerei <strong>in</strong> Wien, die dort seit 1770 <strong>in</strong> Verwendung standen,<br />
1795 an die Ofener Universitätsdruckerei verkauft worden waren. 84<br />
Diejenigen beiden Werke, welche <strong>für</strong> die serbische Kultur als „Gedächtnisorte“<br />
par excellence gelten, s<strong>in</strong>d ebenfalls <strong>in</strong> Wien verlegt worden: In Johann<br />
Schnierers Druckerei 85 erschien 1814 das Werk: Pismenica srbskoga iezika/po<br />
govoru prostoga naroda napisana Vukom Stefanovićem Serbiancem [kyrill.] [Grammatik<br />
<strong>der</strong> serbischen Sprache, nach <strong>der</strong> Rede des geme<strong>in</strong>en Volkes aufgeschrieben<br />
von dem Serben Vuk Stefanović]. Vuk Stefanović Karadžić (1787–1864)<br />
kodifizierte damit die gesprochene Sprache, die sich von <strong>der</strong> bisher verwen-<br />
82 Vgl.: Neue Zürcher Zeitung 163 (15. 7. 2005). S. 39. Weiters: V<strong>in</strong>ča-Schrift – Wikipedia<br />
(http://de.wikipedia.org/wiki/V<strong>in</strong>ca-Schrift) (Zugriffsdatum: 10. 9. 2005.)<br />
83 Vgl.: Stankiewicz: Grammars and Dictionaries. S. 95.<br />
84 Dejan Medaković liefert <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Werk: Serben <strong>in</strong> Wien (Novi Sad: Prometej, 2001. S. 131–136)<br />
e<strong>in</strong>e detaillierte Darstellung des „Schicksals des serbischen Buchdrucks <strong>in</strong> <strong>Österreich</strong>“.<br />
85 Nachweis darüber s. Wiener Allgeme<strong>in</strong>e Literaturzeitung 46 (9. 6. 1815). S. 721–231. Vgl. Mar<strong>in</strong>elli-<br />
König: Die Südslaven. S. 169.<br />
MITTEILUNGEN BUCHFORSCHUNG <strong>2006</strong>-1<br />
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