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Contergan oder die Macht der Arzneimittelkonzerne - Sternentaler

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<strong>der</strong> vorsitzende, dass <strong>der</strong> Antrag <strong>der</strong> Anklagevertretung berechtigt sei, und Gottschewski wurde als<br />

Sachverständiger abgelehnt.<br />

In <strong>der</strong> nächsten Runde <strong>der</strong> Verhandlungen wurden Wissenschaftler vernommen, <strong>die</strong> an <strong>der</strong><br />

Entwicklung des Thalidomids beteiligt gewesen waren. Professor Keller, <strong>der</strong> <strong>die</strong> Tierversuche<br />

durchführte, sagte dem Gericht, dass man ursprünglich Thalidomid für ein Antihistaminikum<br />

gehalten hätte, aber später wurden im Tierversuch seine sedativen Eigenschaften entdeckt. Alle<br />

Protokolle seiner Versuche waren <strong>der</strong> Firma übergeben worden, als er aus seiner Stellung ausschied.<br />

Keller hatte auch Selbstversuche gemacht und bei einer Gelegenheit 10 Gramm Thalidomid<br />

eingenommen. Als sich Staatsanwalt Knipfer nach einem Symposium für Thalidomid erkundigte, das<br />

Grünenthal im Jahre 1955 organisiert hatte, fragte er, „welche Schlussfolgerungen aus dem<br />

Symposium hinsichtlich <strong>der</strong> Vorbereitung und Prüfung von Thalidomid gezogen wurden?“<br />

Professor Keller erwi<strong>der</strong>te: „Soweit ich mich erinnere, waren <strong>die</strong> Untersucher nicht beson<strong>der</strong>s<br />

enthusiastisch. Es wurde gesagt: „Nun ja, es wirkt. Aber es gibt noch genug an<strong>der</strong>e Schlaftabletten<br />

auf dem Markt. Es ist gar nicht klar, welche realen Vorteile K17 hat, abgesehen vom<br />

bemerkenswerten Fehlen <strong>der</strong> Toxizität.“<br />

Keller sagte auch, er sei hinsichtlich <strong>der</strong> möglichen Zukunft des Thalidomids skeptisch gewesen,<br />

beson<strong>der</strong>s im Vergleich mit den an<strong>der</strong>en von <strong>der</strong> Konkurrenz vertriebenen Sedativa. Als Keller vom<br />

Vorsitzenden Weber gefragt wurde, ob er noch irgendwelche an<strong>der</strong>en speziellen Zweifel an <strong>der</strong><br />

Substanz gehabt habe, antwortete er: „Ich habe mir seit 1961 den Kopf darüber zerbrochen, ob bei<br />

<strong>der</strong> Prüfung des Präparates K17 Fehler gemacht worden sind, ob etwas Wesentliches übersehen <strong>o<strong>der</strong></strong><br />

unterlassen worden ist. Ich bitte Sie, mir <strong>die</strong> Versicherung abzunehmen, dass niemand über <strong>die</strong><br />

Erfindung und den Weg <strong>die</strong>ser Substanz unglücklicher sein kann als ich. Aber um vorauszusehen,<br />

welche Folgen auf uns zukämen, hätte es prophetischer Gaben bedurft.“<br />

In einer Diskussion über <strong>die</strong> Teratogenität von Thalidomid erklärte Keller: „Ich möchte dazu sagen,<br />

dass mir damals eine teratogene Wirkung einfach nicht vorgekommen ist. Und nicht nur mit-keinem<br />

bei Chemie Grünenthal <strong>o<strong>der</strong></strong> irgend jemandem in <strong>der</strong> ganzen pharmazeutischen Industrie ist sie<br />

begegnet.“<br />

Keller behauptete auch, dass seine Ergebnisse durch gründliche, beid er Firma Smith, Kline and<br />

French durchgeführte Tierversuche bestätigt worden seien. Das war ganz und gar nicht wahr. Im<br />

Gegensatz zu den von Kunz, Keller und Mückter veröffentlichten Ergebnissen zeigten <strong>die</strong> von <strong>die</strong>ser<br />

Firma durchgeführten Versuche keinerlei sedative <strong>o<strong>der</strong></strong> hypnotische Wirkungen, auch wenn den<br />

Tieren hohe Thalidomiddosen gegeben wurden. Als Dr. Gerhardt Osterloh, ein an<strong>der</strong>e Pharmakologe,<br />

<strong>der</strong> einige pharmakologische Versuche mit Thalidomid gemacht hatte, gefragt wurde, ob er<br />

Protokolle seiner Versuche aufbewahrt habe und <strong>die</strong>se noch bei ihm seien, erwi<strong>der</strong>te er:<br />

„Ja, natürlich, ich habe <strong>die</strong> Protokolle immer noch.“<br />

Somit besaß Osterloh noch einige von <strong>die</strong>sen Protokollen, aber sie waren schon 1959 aus den Akten<br />

<strong>der</strong> Firma verschwunden. Um etwas Licht in <strong>die</strong> merkwürdige Frage zu bringen, was tatsächlich mit<br />

den Originalprotokollen geschehen war, <strong>die</strong> Chemie Grünenthal zuerst besaß, wurde am 6.November<br />

1968 Dr. Hilmar von Veltheim, <strong>der</strong> Syndikus <strong>der</strong> Firma, von <strong>der</strong> Anklagevertretung vernommen. Von<br />

Veltheim stellte fest, dass ihm Dr. Mückter gesagt habe, <strong>die</strong> Protokolle seien nicht mehr von Wert, da<br />

<strong>die</strong> Ergebnisse <strong>der</strong> Untersuchungen in einem beson<strong>der</strong>en Artikel veröffentlicht werden sollten. Als<br />

<strong>die</strong> Forschungsabteilung 1959 in das neue Gebäude umzog, waren <strong>die</strong> einzelnen Protokolle<br />

„verlorengegangen“. Eine ganze Menge Akten waren im alten Gebäude zurückgeblieben. „Dann<br />

müssen sie noch dort sein!“ bemerkte <strong>der</strong> Vorsitzende Weber.<br />

Von Veltheim erwi<strong>der</strong>te: „Was zurückgeblieben ist, ist irgendwie weggebracht worden.“<br />

Vorsitzen<strong>der</strong> Weber: „Dann ist alles vernichtet worden?“<br />

Von Veltheim erwi<strong>der</strong>te: „Es ist möglich, dass sie in dem Keller endeten, wo alle Protokolle<br />

aufbewahrt werden.“<br />

Die Anklagevertretung und <strong>der</strong> Vorsitzende zeigten <strong>die</strong>ses Interesse an <strong>der</strong> Aufklärung des Schicksals<br />

<strong>der</strong> Protokolle, weil <strong>die</strong> endgültige Veröffentlichung von Kunz, Keller und Mückter über <strong>die</strong><br />

Ergebnisse ihrer Arbeit kaum irgendwelche Angaben enthält, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Schlussfolgerungen <strong>der</strong> Arbeit<br />

rechtfertigen. Zu den toxikologischen Untersuchungen enthielt <strong>die</strong> Veröffentlichung lediglich

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