Contergan oder die Macht der Arzneimittelkonzerne - Sternentaler

werden, bevor man sie klinisch anwandte. Das wurde einstimmig angenommen. Der Zusatz, ein Arzt
müsse die Erlaubnis des Patienten haben, bevor er Medikamente im Versuchsstadium anwenden,
wurde abgelehnt. Nach einigen geringfügigeren Korrekturen stimmte der Senat dem Entwurf S1552
zu. Im Kongress kam jedoch die Entwicklung zum Stimmstand, und ein harter Kampf brach wieder
aus um viele Kontrollfragen, die Kefauver aufgenommen hatte. Obwohl die endgültigen,
sogenannten Kefauver-Harris-Ergänzungen zum Bundesgesetz über Lebens-, Arzneimittel und
Kosmetika von 1938, durch Präsident Kennedy am 10.Oktober 1962 unterzeichnet, nicht den
Abschnitt über Patente und auch nicht die Bestimmung enthielten, dass Beipackzettel an die Ärzte
gesandt werden sollten, waren die meisten Hauptvorschriften über Sicherheit und Wirksamkeit
aufgenommen worden: die Forderung nach ausreichender Kontrolle in der Herstellung, die
obligatorische Vorlage des Nachweises der Wirksamkeit und Sicherheit neuer Arzneimittel; die
Forderung an die Hersteller, exakte Nachweise über die Entwicklung neuer Arzneimittel zu führen
(Versuchsprotokolle von Tierversuchen usw.); ein neues Verfahren der Deklaration von
Arzneimitteln; amtliche Bestätigung aller Antibiotika; die Berechtigung der Bundesbehörden, Namen
zu standardisieren; die Aufnahme der Freibezeichnung in alle Formen von Aufschriften und Anzeigen;
die Aufnahme von Informationen über Nebenwirkungen, Kontraindikationen und Wirksamkeit in die
Werbung für rezeptpflichtige Arzneimittel; die Berechtigung der FDA-Beamten, Laboratorien und
Betriebe zu inspizieren.
Ähnliche Entwicklungen gingen in vielen anderen Ländern des Westens vor sich, obwohl die
Veränderungen in der Gesetzgebung nicht zu einer derart wirksam kontrollierten pharmazeutischen
Industrie geführt haben, wie es in den USA der Fall ist.
Als im 23.August der Senat der Vereinigten Staaten einstimmig Kefauvers Entwurf angenommen
hatte, erhob sich Senator Paul H. Douglas aus Illinois und erklärte:“Herr Präsident, das
Abstimmungsergebnis, mit dem der Kefauver-Entwurf gerade verabschiedet wurde -78 zu 0- ist
geradezu ein Kommentar dazu, wie Zeit und Geschichte häufig die Auffassungen einiger unpopulärer
Leute bestätigen und wie das, was zu einem Zeitpunkt die Meinung der Mehrheit zu sein scheint, es
zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr ist.
Der Senator für Tennessee (Mr.Kefauver) hat einen langen und einsamen Kampf für ein
zweckmäßiges Gesetz geführt. Er ist von der mächtigen pharmazeutischen Industrie angegriffen
worden und in der Presse als einer aus dem verächtlichen Haufen der Liberalen verspottet worden.
Er hat von einigen Kollegen nicht sehr viel Unterstützung erhalten; obwohl ich glaube, dass der
Senator aus Michigan (Mr. Hart), der Senator für Connecticut (Mr. Dood), der Senator für Colorado
(Mr. Carroll) und der Senator für Missouri (Mr. Long) am Ende ihres Lebens auf die Hilfe stolz sein zu
können, die sie dem Senator für Tennessee gaben, als er mit dem Rücken gegen die Wand seine
anscheinend hoffnungslose Schlacht gegen diese mächtigen Interessen führte.
Aber jetzt, Herr Präsident, nach den vielen schrecklichen Tragödien, die sich in europäischen Ländern
durch die Anwendung des Medikamentes Thalidomid abspielten, und den Fällen, die in diesem Lande
vorgekommen sind, hat sich herausgestellt, dass der Senator für Tennessee die ganze Zeit recht hatte
und dass die Spötter, Schmäher und die erbitterten Opponenten unrecht hatten.
Nun hat der Senat mit seiner einmütigen Abstimmung sein großzügiges Siegel der Billigung auf das
gedrückt, wofür der Senator für Tennessee und seine Kollegen so lange gekämpft haben. Menschen,
die ihn offen und heimlich bekämpft haben. Menschen, die ihn offen und heimlich bekämpft hatten,
strömen jetzt herbei, um sich seiner Auffassung anzuschließen und geben vor, dass sie ihn schon
immer unterstützt hätten.
Als einfacher amerikanischer Bürger möchte ich den Senator für Tennessee und all jene loben, die
ihm halfen, dass sie all diese Jahre und Monate um diese große Reform gekämpft haben. Das
amerikanische Volk wird ihm bestimmt ewig dankbar sein.
Herr Präsident, können wir aus diesen Erfahrungen lernen, oder kann sich die Menschheit nur durch
Katastrophen und Tragödien erziehen?“
In diesem Buch beschreiben wir die Geschichte des Thalidomides, jenes unglücklichen Arzneimittels,
dessen Aufkommen so weitreichende Rückwirkungen auf das gesamte Gebiet der Pharmakologie
hatte. Glücklicherweise ist sie nicht repräsentativ für die pharmazeutische Industrie insgesamt, aber
sie hat viele Mängel in der Entwicklung und auch in der Kontrolle der Arzneimittel ans Licht gebracht.