Contergan oder die Macht der Arzneimittelkonzerne - Sternentaler
Contergan oder die Macht der Arzneimittelkonzerne - Sternentaler
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unvollständig, dass nicht genügend Fälle untersucht wurden. Viele <strong>der</strong> 3156 zitierten Fälle sind <strong>der</strong><br />
ausländischen Literatur entnommen, und in vielen Fällen bieten <strong>die</strong> Berichte keine eingehenden<br />
Untersuchungen zur Ermittlung <strong>der</strong> Unschädlichkeit des Mittels. Der Antrag ist weiterhin gemäß<br />
Artikel 506b Absatz 1 des Gesetzes darin unvollständig und nicht ausreichend, dass <strong>die</strong> Angaben über<br />
<strong>die</strong> chronische Toxizität unvollständig sind und <strong>die</strong> Sicherheit des Mittels bei langzeitiger Anwendung<br />
daher nicht beurteilt werden kann.“<br />
Es muss beachtet werden, dass in den vier Jahren, seit Chemie Grünenthal das Präparat einführte, in<br />
erheblichem Umfang neues klinisches Material erschienen war.<br />
Außerdem ist bekannt, dass eine Kombination von Pharmaka sehr ungünstige Ergebnisse haben<br />
kann. Ein Pharmakon kann <strong>die</strong> Toxizität eines an<strong>der</strong>n steigern (Synergismus), so dass <strong>die</strong> Toxizität<br />
einer Kombination zweier Pharmaka nicht einfach eine Addition <strong>der</strong> Wirkungen bei<strong>der</strong> Einzelstoffe zu<br />
sein braucht. Solche synergistischen Wirkungen sind nicht auf Arzneimittelkombinationen<br />
beschränkt. Es ist gut bekannt, dass man einen ordentlichen Stoß bekommen kann, wenn Alkohol mit<br />
bestimmten Arzneimitteln kombiniert wird. Sogar bestimmte Lebensmittel können in Verbindung mit<br />
gewissen Pharmaka schädliche Wirkungen auslösen, wie anhand <strong>der</strong> ernsten Nebenwirkungen<br />
gezeigt wurde, <strong>die</strong> bei <strong>der</strong> Gabe des Antidepressivums Tranylcypromin bei gleichzeitigem Genuss von<br />
Käse beobachtet worden sind. In einigen Fällen zieht <strong>die</strong> Medizin Vorteile aus <strong>der</strong>artigen<br />
synergistischen Wirkungen, wie bei den Opiumkaloiden.<br />
Beim Thalidomid ist lange Zeit keine richtige systematische Prüfung <strong>der</strong> synergistischen Wirkungen<br />
vorgenommen worden, nicht einmal bei einer so wahrscheinlichen Kombination wie Alkohol und<br />
Thalidomid. Das ist um so alarmieren<strong>der</strong>, als <strong>die</strong> Anwendung des Mittels zur Behandlung des<br />
Alkoholismus empfohlen worden ist! Tatsächlich erbrachte Somers im Jahre 1960 den<br />
experimentellen Beweis für eine eindeutige synergistische Wirkung von Thalidomid und Alkohol;<br />
Thalidomid steigerte <strong>die</strong> Toxizität des Alkohols. Offensichtlich war <strong>die</strong>se Kombination erstmals<br />
untersucht worden.<br />
Das führt uns zu einem <strong>der</strong> ernsteren Aspekte des Vertriebs von Thalidomid. Eine günstige Wirkung<br />
des Thalidomids wurde bei Zuständen <strong>o<strong>der</strong></strong> bestimmten Patienten postuliert, für <strong>die</strong> entwe<strong>der</strong> nur<br />
bruchstückhafte Erfahrungen vorlagen <strong>o<strong>der</strong></strong> vollständig fehlten. Manchmal wurden allgemeine <strong>o<strong>der</strong></strong><br />
verschwommene Begriffe benutzt, um vorzutäuschen, dass <strong>die</strong> klinische Erfahrung umfangreicher<br />
sein, als sie tatsächlich war. Die schwedische Gesellschaft Astra schrieb 960 in einer Broschüre für<br />
Ärzte über Erfahrungen in <strong>der</strong> Gynäkologie und Geburtshilfe: Blasiu (9), <strong>der</strong> über gute Ergebnisse<br />
klinischer Erprobungen an gynäkologisch-geburtshilflichen Patientinnen verfügt, berichtet…“<br />
Es wird <strong>der</strong> Eindruck vermittelt, als ob ein ziemlich breites Spektrum von verschiedenen Patientinnen<br />
aus dem Gebiet <strong>der</strong> Gynäkologie und Geburtshilfe von Blasiu behandelt worden sei. Die einzigen<br />
Gruppen <strong>der</strong>artiger Patientinnen, <strong>die</strong> in Blasius Originalarbeit aus dem Jahre 1958 erwähnt werden,<br />
sind stillende Mütter und Operationsfälle. Wenn <strong>der</strong> Allgemeinpraktiker eine <strong>der</strong>artige Broschüre<br />
liest, hat er we<strong>der</strong> <strong>die</strong> Zeit noch <strong>die</strong> Gelegenheit, den in einer medizinischen Zeitschrift <strong>der</strong> BRD mit<br />
geringer Verbreitung (Medizinische Klinik) veröffentlichten Originalaufsatz auszugraben; er muss<br />
annehmen, dass <strong>die</strong> in <strong>der</strong> Broschüre mitgeteilte Information keine falsche Darstellung <strong>der</strong> Tatsachen<br />
enthält. Wie <strong>die</strong> Grundinformation in <strong>die</strong>sem speziellen Fall durch Chemie Grünenthal entstellt<br />
wurde, kann anhand eines Begleitschreibens nachgewiesen werden, das 1958 an 40000 Ärzte<br />
versandt wurde:<br />
„ In <strong>der</strong> Schwangerschaft und Stillperiode steht <strong>der</strong> wiebliche Organismus unter großer Belastung.<br />
Schlaflosigkeit, Unruhe und Spannungen sind beständige Klagen. Die Gabe eines Sedativums-<br />
Hypnotikum, das we<strong>der</strong> Mutter noch Kind schädigt, ist oft notwendig. Blasiu hat vielen Patientinnen<br />
ins einer gynäkologischen Praxis <strong>Contergan</strong> und <strong>Contergan</strong> forte gegeben.“<br />
Vor dem Staatsanwalt in Aachen machte Blasiu am 5.Juni 1964 folgende Aussage über seine<br />
klinischen Erprobungen, auf <strong>die</strong> Grünenthal und <strong>die</strong> an<strong>der</strong>en Thalidomid-Verkäufer ihre Werbung<br />
aufbauten:<br />
„ Ich möchte betonen, dass <strong>die</strong> Patientinnen <strong>Contergan</strong> für höchstens 8-10 Tage nahmen.<br />
Schwangeren wurde das Mittel niemals verordnet. Es ist mein absoluter Grundsatz, einer werdenden