Contergan oder die Macht der Arzneimittelkonzerne - Sternentaler
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7 Ergebnisse <strong>der</strong> Nachlässigkeit: Thalidomid in Schweden und Kanada<br />
Bis zur Zurückziehung des Thalidomids in <strong>der</strong> BRD November 1961 liefen <strong>die</strong> Ereignisse in Schweden<br />
sehr ähnlich ab. Die skandinavische Astra-Gesellschaft unternahm sehr wenig. Obwohl sei im Laufe<br />
des Sommers 1961 über <strong>die</strong> Arbeiten <strong>der</strong> Neurologen in <strong>der</strong> BRD informiert wurde, bemühte <strong>die</strong><br />
Firma sich nicht um Verbindung zu den Forschungszentren, an denen <strong>die</strong>se Untersuchungen<br />
durchgeführt wurden. Die Astra-Gesellschaft wurde sogar von Chemie Grünenthal gedrängt, eine<br />
Warnung vor <strong>der</strong> Polyneuritis bekanntzugeben. Astra gab vor dem Bezirksgericht in Sö<strong>der</strong>tölje zu,<br />
dass <strong>die</strong> Firma keinerlei Zweifel an <strong>der</strong> Kompetenz <strong>der</strong> Neurologen Frenkel, Raffauf und Scheid hatte.<br />
Am 8. November ersuchte das Schwedische Gesundheitsamt (Swedish Medical Board) <strong>die</strong> Astra-<br />
Gesellschaft, <strong>die</strong> Ärzte über das Risiko <strong>der</strong> Polyneuritis zu informieren. Trotzdem nahm sie bis zum<br />
30. November, als das Präparat in <strong>der</strong> BRD bereits vom Markt zurückgezogen war, keinerlei Warnung<br />
vor <strong>der</strong> Polyneuritis in ihre Propaganda auf. Auch dann noch war <strong>die</strong> Warnung irreführend: „Wenn<br />
Nebenwirkungen <strong>der</strong> oben erwähnten Art (Polyneuritis) auftreten, sollte <strong>die</strong> Medikation<br />
unterbrochen werden, und <strong>die</strong> Symptome werden verschwinden.“ Es war <strong>der</strong> Astra-Gesellschaft<br />
durchaus klar, dass <strong>die</strong>se Reaktionen nicht immer reversibel waren. Der medizinische Direktor von<br />
Astra schrieb in <strong>der</strong> Zeitschrift „Opuscula Media“ Anfang 1962:<br />
„Im Jahre 1961 wurden bestimmte nachgewiesene und vermutete Nebenwirkungen in <strong>der</strong><br />
englischen und beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> westdeutschen Literatur beschrieben, mit <strong>der</strong> Konsequenz, dass das<br />
Mittel nicht mehr auf dem Markt ist. Es erscheint zweckmäßig, über <strong>die</strong>se Komplikationen<br />
ausführlicher zu berichten.<br />
Es wurde gefunden, dass gelegentliche Fälle von sensorischer Neuritis in den peripheren Anteilen <strong>der</strong><br />
Extremitäten lokalisiert waren… Bei den mil<strong>der</strong>en Verlaufsformen wurden eine vollständige<br />
Wie<strong>der</strong>herstellung erzielt, während in den schweren Fällen eine gewissen Besserung beobachtet<br />
wurde, aber nicht immer eine völlige Rückbildung.“<br />
Nachdem einmal das Mittel in <strong>der</strong> BRD zurückgezogen war, sollte man meinen, es sei ziemlich<br />
einfach gewesen, es auch in Schweden zurückzuziehen. Aber das war keineswegs <strong>der</strong> Fall. Wir haben<br />
schon <strong>die</strong> große Zahl von Warenzeichen gesehen, unter denen Thalidomid verkauft wurde. Dr. Per<br />
Olov Lundberg schrieb in einem Artikel im „Swedish Medical Journal“ mit gewisser Bewegung:<br />
„Ende November 1961 saßen einige Kollegen von mir im Akademischen Krankenhaus (Uppsala) und<br />
lasen in einer Stockholmer Zeitung eine kleine Notiz übe rein deutsches Präparat namens <strong>Contergan</strong>,<br />
von dem auf dem letzten Kongress berichtet wurde, dass es möglicherweise eine teratogene Wirkung<br />
hat. Wir wollten natürlich wissen, ob das etwas Beachtenswertes war und ob es das fragliche<br />
Arzneimittel in Schweden gab. Ein Telefonanruf bei einem Chemiker, <strong>der</strong> zu einem intensiven<br />
Literaturstudium führte, gab uns <strong>die</strong> Antwort: We<strong>der</strong> <strong>Contergan</strong> noch irgendein ähnliches Präparat<br />
schien es in unserem Land zu geben. Unglücklicherweise war das nicht wahr.“<br />
In einem „Die Übeld er Tarnung, illustriert am Thalidomid“ (The Evils of Camouflage es Illustred by<br />
Thalidomide; The New England Journal of Medicine 269, 1963, S.92) betitelten Artikel griff Professor<br />
Helen B.Taussig vom Johns Hopkins Hospital in Baltimore <strong>die</strong> „Maskerade“ von Arzneimitteln an, bei<br />
<strong>der</strong> ein und dasselbe Arzneimittel sogar im gleichen Land unter verschiedenen Namen erscheint:<br />
„Die vielen verschiedenen Namen, unter denen das Mittel gehandelt wurde, machen es schwierig, zu<br />
ermitteln, ob eine Frau Thalidomid eingenommen hat. Fast jede Firma, <strong>die</strong> das Mittel herstellt <strong>o<strong>der</strong></strong><br />
eine Vertriebslizenz dafür hat, verkauft es in <strong>der</strong> Tat unter unterschiedlichen Namen. Eine <strong>der</strong>artige<br />
Politik ist aller Wahrscheinlichkeit nach für <strong>die</strong> Firma finanziell vorteilhaft, bereitet aber dem Arzt und<br />
dem echten Patienten echte Schwierigkeiten. Was <strong>die</strong> Dinge in einigen Län<strong>der</strong>n, wie England, noch<br />
übler macht, ist <strong>die</strong> Tatsache, dass <strong>der</strong> Name des Mittels dem Patienten durch den Apotheker<br />
vorenthalten wird, <strong>der</strong> es lediglich mit einem Etikett abgibt, das den Namen des Patienten und eine<br />
Nummer aufweist.“