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Contergan oder die Macht der Arzneimittelkonzerne - Sternentaler

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eindeutig nachgewiesen, dass Thalidomid schwere neurotische Schäden hervorruft… Der deutsche<br />

Hersteller (Grünenthal) versucht hervorzuheben…, dass <strong>die</strong>se Schädigung eine Hautreaktion<br />

allergischer Natur ist (<strong>die</strong> auch gelegentlich nach Doriden auftritt).<br />

Die ergänzten Beipackzettel für <strong>Contergan</strong> waren auf September 1060 datiert, was sich Dr.Sievers in<br />

einem Brief vom 23.Dezember an einen Arzt beson<strong>der</strong>s angelegen sein ließ: Da ich den<br />

dedauerlichen Eindruck habe, dass Sie nicht glauben, dass wir ernsthafte Anstrengungen<br />

unternehmen, um <strong>die</strong> Nebenwirkungen wissenschaftlich zu klären, lege ich einen Beipackzettel für<br />

<strong>Contergan</strong> bei, den wir seit Ende September allen unseren Packungen beifügen.<br />

Die Beipackzettel waren absichtlich zwei Monate vordatiert. Tatsächlich waren <strong>die</strong> Grünenthal-<br />

Mitarbeiter selbst keinesfalls davon überzeugt, dass <strong>die</strong> Nervenschädigung allergischer Natur sei. Im<br />

Januar 1961 schrieb Dr.Sievers an Professor Custodis in Düsseldorf: gegenwärtig können wir daher<br />

noch nicht entscheiden, ob <strong>die</strong>se Wirkungen allergischer Natur sind… Es erscheint wahrscheinlicher,<br />

dass es sich um eine Stoffwechselstörung handelt.<br />

Am 31.Dezember 1960 erschien in einer Nummer <strong>der</strong> British Medical Journal ein Brief von Dr.A.Leslie<br />

Florence mit dem Titel „Is Thalidomide to Blame?“Dr. Florence beschrieb kurz Beobachtungen an vier<br />

Fällen von Thalidomid-Polyneuritis nach <strong>Contergan</strong> und fragte, ob einer ihrer Leser <strong>die</strong> Effekte nach<br />

langzeitiger Behandlung mit dem Mittel beobachtet hat. Das war <strong>die</strong> erste Beschreibung einer<br />

Nervenschädigung nach Thalidomid, <strong>die</strong> in <strong>der</strong> medizinischen Fachliteratur erschien.<br />

Ende Februar 1961 waren <strong>der</strong> Firma Chemie-Grünenthal mehr als 400 vermutete Fälle von<br />

Polyneuritis nach <strong>Contergan</strong>-Einnahme bekannt. Außer über Nervenschädigungen lag eine große Zahl<br />

von berichten über paradoxe Effekte vor, und tausend Informationen über verschiedenartige<br />

Nebenwirkungen waren insgesamt bis dahin nach Stolberg gelangt. In einem Brief an <strong>die</strong> Firma<br />

Wm.S.Merrell Co., behauptete Grünenthal, lediglich von einem einzigen Fall von Polyneuritis im<br />

Jahre 1960 gehört zu haben, und es wurde behauptet, Informationen über weitere Fälle in <strong>der</strong> BRD<br />

seien erstmals während einer Vortragstagung in Düsseldorf am 15.Februar 1961 bekannt geworden.<br />

Dass <strong>die</strong> Mitarbeiter in Stolberg nunmehr selbst davon überzeugt waren, dass Thalidomid<br />

Nervenschädigungen verursacht wird dadurch bezeugt, dass in den internen Dokumenten nicht<br />

diskutiert wurde, ob Thalidomid <strong>die</strong> Ursache <strong>die</strong>ser Wirkungen sei, son<strong>der</strong>n warum und wie<br />

Thalidomid <strong>der</strong>artige Reaktionen hervorrufe.<br />

Im Dezember 1960 machten sich Dr.Oswald und Dr.Nowel daran, Beamte in den verschiedenen<br />

Gesundheitsbehörden auszusuchen, um alle Versuche, <strong>Contergan</strong> rezeptpflichtig zu machen, zu<br />

verhin<strong>der</strong>n.<br />

Dezember 1960: Dr.Oswald und ich (Dr.Nowel) wurden auf <strong>die</strong> Reise geschickt, um den Ministerien<br />

darzulegen, dass <strong>die</strong> Angriffe ungerechtfertigt seien und dass keine Nebenwirkungen bekannt sind,<br />

<strong>die</strong> mit <strong>Contergan</strong> in Zusammenhang gebracht werden können.<br />

In einem Bericht für April 1961 an Leufgens und von Schra<strong>der</strong>-Beielstein teilte Dr.Nowell weitere<br />

Einzelheiten über <strong>die</strong>se besuche mit:<br />

Um den maximalen Umsatz von <strong>Contergan</strong> aufrechtzuerhalten, haben Dr.Oswald und Dr.Nowell, <strong>die</strong><br />

Leiter <strong>der</strong> Abteilungen für Gesundheitswesen in den Ministerien des Innern besucht und beson<strong>der</strong>s<br />

<strong>die</strong> folgenden Produkte hervorgehoben.<br />

I. <strong>Contergan</strong> ist so gut wie ungiftig.<br />

II. Nebenwirkungen sind praktisch niemals aufgetreten.<br />

III. Argumente aus dem Innenministerium zur Notwendigkeit <strong>der</strong> Rezeptpflicht wurden wi<strong>der</strong>legt,<br />

indem unterstrichen wurde, dass<br />

1. solche Gerüchte möglicherweise auf eine Verwechselung mit Doriden zurückzuführen sind (dem<br />

Konkurrierenden Sedativum, das von CIBA in den Handel gebracht wurde.<br />

2. bisher nur Gerüchte, aber keine Tatsachen bekannt geworden sind;<br />

3.Suizidversuche mit <strong>Contergan</strong> bisher erfolglos geblieben sind<br />

Ähnliche Diskussionen wurden im Dezember 1960 im Bundesgesundheitsamt in Westberlin und im<br />

Januar 1961 mit dem verantwortlichen Pharmazeuten im Bundesministerium des Innern geführt.<br />

Die Verkaufsvertreter ihrerseits wurden angehalten, eine Front gegen <strong>die</strong> Ärzte und Apotheker<br />

aufzubauen. Ein Vertreter schrieb: Mein fröhliches Gelächter und entsprechende Hinweise auf <strong>die</strong><br />

völlig harmlosen Eigenschaften des Mittels waren offensichtlich erfolgreich und beruhigten <strong>die</strong>

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