Contergan oder die Macht der Arzneimittelkonzerne - Sternentaler
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„Unbekannte schädliche Stoffe<br />
Den Kliniken sind <strong>die</strong> großen Lücken nicht hinreichend bewusst, <strong>die</strong> in unseren Kenntnissen über <strong>die</strong><br />
Pharmakologie <strong>der</strong> Mittel bestehen, <strong>die</strong> entwe<strong>der</strong> dem neugeborenen Kind direkt <strong>o<strong>der</strong></strong> indirekt<br />
durch Verabfolgung an <strong>die</strong> Mutter zugeführt werden. Allzu oft haben wir angenommen, dass ein<br />
Pharmakon, das für <strong>die</strong> Mutter untoxisch ist, auch den Fetus nicht schädigen wird. Das hat sich als<br />
eine gefährliche Annahme erwiesen.<br />
Gegenwärtig werden viele neue Arzneimittel (Diuretika, oral wirksame Hypoglykämika und<br />
Tranquilizerin <strong>der</strong> Schwangerschaft gegeben, und es gibt keine ausreichende Anhaltspunkte, nach<br />
denen beurteilt werden kann, dass <strong>die</strong>se Präparate für den Fetus völlig ungiftig sind. Unnötige<br />
menschliche Experimente können in Zukunft nur verhin<strong>der</strong>t werden, wenn <strong>der</strong> Kliniker <strong>der</strong><br />
Verletzlichkeit des Fetus für transplazentare Erkrankungen des Neugeborenen (verursacht durch<br />
Substanzen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Plazenta durchdringen) <strong>die</strong> notwendige Aufmerksamkeit schenkt.“<br />
In den „Annals oft he New York Academy of Sciences“, Jahrgang 1965, schrieb Professor Lenz ins<br />
einem Artikel „Epidemiologie <strong>der</strong> angeborenen Missbildungen“:<br />
„Die Möglichkeit durch Menschen verursachter chemischer Missbildungen konnte bereits seit den<br />
frühen 50er Jahren in Betracht gezogen werden. Im Jahre 1955 widmete Giroud in einer Übersicht<br />
über chemische Missbildungen 18 Seiten <strong>der</strong> Rolle chemischer Verbindungen. Er führte eine<br />
Bibliographie mit 191 Zitaten in bezug auf chemische Stoffe an. Der österreichische Pharmakologe<br />
von Brücke schrieb 1958 eine Arbeit über „Schädigungen des Fetus durch Gebrauch von<br />
Arzneimitteln durch <strong>die</strong> Mutter“, in <strong>der</strong> er folgende Warnung aussprach: „Es erscheint daher sehr<br />
zweckmäßig, darauf hinzuweisen, dass in <strong>der</strong> medizinischen Betreuung <strong>der</strong> Frühschwangerschaft<br />
neben einer gut angepassten Diät, <strong>die</strong> ausreichend vitaminhaltig ist, jede medikamentöse Therapie<br />
vermieden werden sollte, <strong>die</strong> nicht absolut notwendig ist.“<br />
Bereits 1959 reichte Kühne <strong>der</strong> Deutschen Forschungsgemeinschaft, <strong>der</strong> Hauptinstitution für <strong>die</strong><br />
finanzielle Unterstützung wissenschaftlicher Arbeiten in Westdeutschland, einen weitsichtigen Plan<br />
über <strong>die</strong> epidemiologischen Stu<strong>die</strong>n von Missbildungen ein. Kühne erklärte zu Recht: „Sowohl für<br />
Probleme <strong>der</strong> Strahlengenetik als auch für pharmakologisch-toxikologische Beurteilungen ist das<br />
tatsächliche Vorkommen menschlicher Missbildungen äußerst wichtig. Wenn <strong>die</strong>ser gut begründete<br />
Vorschlag nicht von <strong>der</strong> Deutschen Forschungsgemeinschaft abgelehnt worden wäre, wären das<br />
Auftreten <strong>der</strong> Thalidomidepidemie und ihre Ursache wahrscheinlich mindestens ein Jahr früher<br />
festgestellt worden.“<br />
Nach <strong>der</strong> von einigen pharmazeutischen Unternehmen und den schwedischen Gesundheitsbehörden<br />
vorgebrachten Propaganda dachte niemand vor <strong>der</strong> Thalidomid-Katastrophe daran, Pharmaka<br />
hinsichtlich ihrer Wirkung auf den Fetus zu prüfen.<br />
Im Falle des Thalidomids ist es ein beson<strong>der</strong>s schwerwiegen<strong>der</strong> Umstand, dass in vielen Län<strong>der</strong>n <strong>die</strong><br />
betroffenen pharmazeutischen Firmen speziell behaupteten, dass Thalidomid für Mutter und Kind<br />
tatsächlich unschädlich ist, wenn es in <strong>der</strong> Schwangerschaft gegeben wird, obwohl <strong>die</strong>se Behauptung<br />
nicht durch ausreichende klinische Erfahrung gestützt wurde.<br />
Wenn <strong>die</strong> Thalidomid vertreibenden Unternehmen und <strong>die</strong> verantwortlichen Regierungs<strong>die</strong>nststellen<br />
<strong>die</strong> vorhandene medizinische Literatur und <strong>die</strong> wissenschaftlichen Erfahrungen richtig zur Kenntniss<br />
genommen und auf <strong>die</strong> von vielen Wissenschaftlern oft ausgesprochene Warnung gehört hätten,<br />
wäre <strong>die</strong> Thalidomid-Katastrophe niemals eingetreten, und <strong>die</strong>ses unnötige Experiment auf dem<br />
Gebiet <strong>der</strong> menschlichen Teratologie, das für Tausende von Menschen unermessliches Leid brachte,<br />
hätte vermieden werden können.<br />
In dem bereits erwähnten Artikel folgerte Professor Lenz: „Lei<strong>der</strong> haben <strong>die</strong> meisten Menschen nur<br />
langsam <strong>die</strong> Wirklichkeit <strong>der</strong> Gefahr wahrgenommen. Dutzende wertvoller wissenschaftlicher<br />
Arbeiten blieben ebenso unbeachtet wie einzelne warnende Stimmen. Es bedurfte Tausen<strong>der</strong><br />
missgebildeter Babys, um endlich <strong>die</strong> Öffentlichkeit zu alarmieren.“<br />
Am 3.August 1962 schrieb <strong>der</strong> medizinische Berater <strong>der</strong> Firma Distiller & Co in England, Dr. Dennis<br />
Burley, dem Direktor für wissenschaftliche Beziehungen <strong>der</strong> William S.Merrell Co. einen Brief:<br />
„Ich werde eine Plage für Sie, aber eine ziemlich wichtige Sache ist passiert. Im heutigen Guardian ist<br />
ein Artikel von Alistair Cooke, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Hauptsache ein Schulterklopfen für <strong>die</strong> FDA im allgemeinen