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Contergan oder die Macht der Arzneimittelkonzerne - Sternentaler

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Arzneimittelwirkungen. Diese Forschung war auf das Studium sowohl <strong>der</strong> erwünschten als auch <strong>der</strong><br />

unerwünschten Wirkungen gerichtet. Da es aus ethischen und technischen Gründen nicht immer<br />

möglich ist, <strong>die</strong> Wirkung einer pharmakologischen aktiven Verbindung am Menschen selbst genau<br />

und gründlich zu untersuchen, gewinnt <strong>die</strong> Verwendung von Versuchstieren immer mehr an<br />

Bedeutung. Die Pharmaka erzeugen bei verschiedenen Tierarten unterschiedliche Reaktionen, und es<br />

wurde notwendig, <strong>die</strong> Ursachen <strong>die</strong>ser Variationen zu erforschen. Weiterhin musste <strong>der</strong> Einfluss <strong>der</strong><br />

Pharmaka auf spezifische Organe und auf <strong>die</strong> zellulären und subzellulären Prozesse ebenso wie auf<br />

den Organismus als Ganzes beobachtet werden. Wir dürfen auch nicht den bedeutenden Fortschritt<br />

vergessen, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Lösung <strong>der</strong> vielen technischen Schwierigkeiten besteht, mit denen <strong>die</strong><br />

pharmazeutische Großproduktionen einhergeht, z.B. <strong>die</strong> Sicherung von Reinheit und gleichbleiben<strong>der</strong><br />

Qualität. Wir brauchen auch kaum überrascht zu sein, dass <strong>die</strong> pharmazeutischen Industrie <strong>die</strong><br />

subtilen und ungewöhnlichen Techniken und Gewohnheiten <strong>der</strong> Werbung und des Vertriebs<br />

m<strong>o<strong>der</strong></strong>ner Konzerne in an<strong>der</strong>en Wirtschaftszweigen <strong>der</strong> Marktgesellschaft <strong>der</strong> wesentlichen Welt<br />

übernommen und entwickelt hat.<br />

Die Entwicklung <strong>der</strong> m<strong>o<strong>der</strong></strong>nen Pharmakologie erfolgt nicht nur allein in <strong>der</strong> Privatindustrie.<br />

Staatliche und akademische Institutionen in <strong>der</strong> ganzen Welt haben entscheidende Beiträge<br />

geleistet. Von den Antibiotika wurden Chloramphenicol an <strong>der</strong> Yale-Universität, Streptomyzin und<br />

Neomyzin an <strong>der</strong> Rutgers-Universität, Thyrothrizin am Rockefeller-Institut und Bazitrazin am Klinikum<br />

<strong>der</strong> Columbia-Universität entdeckt. Unter an<strong>der</strong>en pharmazeutischen Präparaten wurden das<br />

Lokalanästhetikum Xylocain, von Zahnärzten in <strong>der</strong> ganzen Welt verwendet, and er Königlichen<br />

Universität Stockholm und <strong>die</strong> Salksche Polio-Vakzine an <strong>der</strong> Universität Pittsburgh entwickelt. Die<br />

Verwendbarkeit von p-Aminosalizylsäure (PAS) zur Tubakolosebehandlung entdeckte <strong>der</strong><br />

schwedische Wissenschaftler Jörg Lehmann am Sahlgrenska Sjukhuset in Göteborg.<br />

In vielen Fällen wurden <strong>die</strong> Forschungsvorhaben <strong>der</strong> Universitäten, <strong>die</strong> zur Entwicklung neuer<br />

wichtiger Arzneimittel führten, durch Beihilfen <strong>der</strong> pharmazeutischen Industrie unterstützt, aber<br />

viele bedeutende Entdeckungen sind auch allein durch staatliche Mittel ermöglicht worden. Der<br />

Wert <strong>der</strong> Unterstützung und Planung durch den Staat als eine konkurrierende Alternative zur<br />

Industrieforschung wird anschaulich durch <strong>die</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Großproduktion von Penizillin<br />

demonstriert. Bereits im Jahre 1941 veranlasste das US-Amt für wissenschaftliche Forschung und<br />

Entwicklung Forschungen über <strong>die</strong> industrielle Produktion von Penizillin. Verschiedene<br />

pharmazeutische Firmen wurden in <strong>die</strong>ses Programm einbezogen und erhielten staatliche<br />

Unterstützung , aber mehrere Jahre lang wurden nur geringe Fortschritte erzielt. Schließlich<br />

übernahm eine Gruppe von Wissenschaftlern im Nördlichen Regional-Laboratorium des<br />

Landwirtschaftsministeriums in Peoria, Illinois, <strong>die</strong> Aufgabe, eine erfolgsversprechende Methode für<br />

<strong>die</strong> Großproduktion des Antibiotikums zu entwickeln. Das Ministerium erhielt für den Prozeß ein<br />

Patent, das allen Produzenten kostenlos zugänglich gemacht wurde. Auf <strong>die</strong>se Weise gelangte<br />

Penizillin zum Nutzen aller Menschen rasch auf den Markt. Die freie Zugänglichkeit des Patents<br />

wurde ermöglichte von Anfang an eine gesunde Konkurrenz zwischen den Produzenten und<br />

verhin<strong>der</strong>te <strong>die</strong> exzessiven Preise, <strong>die</strong> oft für solche Arzneimittel verlangt und in einer<br />

Monopolstellung herausgebracht werden.<br />

Die Komplexität <strong>der</strong> m<strong>o<strong>der</strong></strong>nen pharmazeutischen Forschung lässt wesentliche Fortschritte auf<br />

<strong>die</strong>sem Gebiet ohne enge Zusammenarbeit zwischen Medizinern und Naturwissenschaftlern nicht<br />

mehr zu. Das haben <strong>die</strong> bedeutenden Firmen verstanden, <strong>die</strong> heute zahlreiche Organiker,<br />

Biochemiker, Physiologen, Ingenieure und neuerdings auch Genetiker beschäftigen.<br />

Der phantastische Preissturz des Penizillins, <strong>der</strong> nach dem zweiten Weltkrieg eintrat, war<br />

hauptsächlich durch <strong>die</strong> Anwendung von Methoden <strong>der</strong> Radiobiologie ermöglicht worden. Durch<br />

Behandlung <strong>der</strong> das Antibiotikum bildenden Pilzen (Penicillium) mit Röntgenstrahlen und mutagenen<br />

Stoffen erhielt man Pilzstämme mit verän<strong>der</strong>ten Erbeigenschaften (Mutationen). Unter <strong>die</strong>sen<br />

neuen Varianten konnten mutierte Formen ausgewählt werden, <strong>die</strong> höhere Ausbeuten des<br />

Antibiotikums lieferten. Mit Hilfe einer <strong>der</strong>artigen „Mutationszucht“ wurden Stämme isoliert, <strong>die</strong> 25-<br />

bis 30mal mehr Penicillin als <strong>die</strong> ursprünglichen Stämme bildeten. 1945 betrug <strong>der</strong> Preis des<br />

Penicillins etwa 20 Dollar für 100.000 Einheiten. Im Jahre 1952 war er auf weniger als 2 Cent für<br />

100.000 Einheiten gefallen.

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