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Contergan oder die Macht der Arzneimittelkonzerne - Sternentaler

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Zurückziehung des Mittels im Dezember 1961) verbreitet und Unruhe verursacht hätten, hätte das<br />

ein Trauma zur folge gehabt:“<br />

Dr. Lin<strong>der</strong> fand noch immer, dass ein eindeutiger Beweis für <strong>die</strong> Ursache <strong>der</strong> Missbildung nicht<br />

vorhanden sei. Dabei hatte Dr. Lenz am 6.Januar 1962 und erneut am 3.Februar 1962 in <strong>der</strong> Lancet<br />

umfassendes Material veröffentlicht, das Dr. Kelsey als „erdrückenden Beweis für seine (Dr.Lenz)<br />

Annahme“ bezeichnete, „dass Thalidomid für den Menschen teratogen ist.“ Der Unterschied in<br />

<strong>die</strong>sen Beurteilungen könnte auf <strong>der</strong> Tatsache beruhen, dass es Frau Kelsey gelang, dank ihrer<br />

Einsicht und ihres Wissens <strong>die</strong> USA vor einer Katastrophe zu bewahren, während das den<br />

Verantwortlichen im Schwedischen Gesundheitsamt misslang.<br />

In den Wochen, <strong>die</strong> <strong>der</strong> Bekanntmachung Dr. Engels folgten, wurde <strong>die</strong> Reaktion <strong>der</strong> Presse recht<br />

heftig. Eine Zeitung sprach von einer internationalen Katastrophe. Wie war das möglich? Die<br />

Maschinerie <strong>der</strong> Öffentlichkeitsarbeit des Astra-Konzerns arbeitete von Anfang an wirksam, und <strong>die</strong><br />

größten Stockholmer Tageszeitungen verfochten <strong>die</strong> Ansicht, <strong>die</strong> Produzenten könnten nicht getadelt<br />

werden, weil <strong>die</strong> Tragö<strong>die</strong> sicher völlig unerwartet und nicht vorhersehbar gewesen sei. Die Astra-<br />

Gesellschaft verbreitete optimistische Versicherungen, dass eine juristische Aktion nicht zu erwarten<br />

sei. Thalidomid sei sowohl in Tierversuchen als auch an Menschen gründlich geprüft worden.<br />

Im Juli 1963 schätzte das Gesundheitsamt, dass 153 thalidomidgeschädigte Kin<strong>der</strong> geboren wurden,<br />

von denen 66 gestorben waren.<br />

Informationen über <strong>die</strong> Situation in Kanada sind einer Zusammenstellung des Schriftwechsels<br />

zwischen <strong>der</strong> Bundesregierung und den Arzneimittelfirmen zu entnehmen, <strong>die</strong> mit dem 1.Januar<br />

1957 beginnt und am 17.Oktober 1962 dem Unterhaus vom Ministerium für Gesundheit und<br />

Wohlfahrt und dem Büro des Premierministers zugeleitet wurde.<br />

Am 8.September 1960 reichte <strong>die</strong> Firma William S.Merrell Co. beim Direktorat für Lebensmittel und<br />

Arzneimittel (Food and Drug Directorate) <strong>die</strong> Unterlagen für Thalidomid ein. Am 22. November 1960<br />

erteilte <strong>die</strong> Behörde <strong>die</strong> Zustimmung, das Mittel unter dem Namen Kevadon rezeptpflichtig zu<br />

verkaufen. Am 1.April 1961 begann <strong>der</strong> Vertrieb von Kevadon. Von Anfang an fügte Merrell eine<br />

Warnung vor Polyneuritis bei, <strong>die</strong> aber irreführend formuliert war, weil festgestellt wurde, <strong>die</strong><br />

Symptome würden sofort nach Absetzen <strong>der</strong> Medikation verschwinden, obgleich zahlreiche<br />

schriftliche Berichte keinerlei Anhaltspunkte dafür enthielten, dass <strong>die</strong> Nervenschädigung immer<br />

reversibel sei. Im Gegenteil, viele Untersucher hoben wie<strong>der</strong>holt <strong>die</strong> Hartnäckigkeit und <strong>die</strong> nicht<br />

eintretende Besserung nach Absetzen des Mittels hervor.<br />

Am 1.September 1961 informierte eine an<strong>der</strong>e Firma, <strong>die</strong> Frank W. Horner Co., das Direktorat für<br />

Lebens- und Arzneimittel über ihre Absicht, Thalidomid unter dem Namen Talimol zu vertreiben.<br />

Horner war von Merrell autorisiert worden, sich auf <strong>der</strong>en Zulassungsantrag für Kevadon zu berufen,<br />

und am 11.Oktober 1961 war Talimol für den Verkauf freigegeben worden. Ab 12.Dezember 1961<br />

stellte <strong>die</strong> Firma Strong Cobb Arner of Canada Ltd. Kevadon-Tabletten für Merrell als Ausweichquelle<br />

her.<br />

Thalidomid war daher nur ziemlich kurze Zeit auf dem Markt, als am 29.November 1961 <strong>die</strong> Firma<br />

William S.Merrell Co. von Dr. Lenz Verdacht hörte, dass bestimmte Missbildungen mit Thalidomid<br />

zusammenhängen würden. Bei einer Zusammenkunft mit Vertretern des Direktorats für Lebens- und<br />

Arzneimittel wurde einem Brief zugestimmt, <strong>der</strong> eine Warnung vor <strong>der</strong> Anwendung von Thalidomid<br />

bei schwangeren Frauen und bei Frauen in <strong>der</strong> Prämenopause, <strong>die</strong> schwanger werden könnten,<br />

enthielt. Die in deutlich mit Arzneimittelwarnung gekennzeichneten Umschlägen versandten Briefe<br />

erhielten alle Ärzte in Kanada um den 5.Dezember. Das Mittel wurde jedoch weiterhin verkauft, und<br />

als in <strong>der</strong> medizinischen Literatur weitere Berichte über thalidomidbedingte Missbildungen<br />

erschienen, verschickte <strong>die</strong> Firma Merrell am 21.Februar 1962 einen erneuten Warnbrief.<br />

Am 23. Februar 1962 veröffentlichte das Magazin „Time“ einen Artikel mit dem Titel<br />

„Schlaftabletten-Alpdruck“. Es wurde ein kurzer Überblick über <strong>die</strong> Ereignisse um das Thalidomid<br />

gegeben. Er umfasste sowohl <strong>die</strong> Befunde von Dr. Lenz als auch von Dr.Speirs aus Stirlingshire und<br />

stützte sich offensichtlich auf <strong>die</strong> wissenschaftlichen Arbeiten, <strong>die</strong> in <strong>der</strong> bekannten medizinischen<br />

Zeitschrift „Lancet“ erschienen waren. „Time“ fügte von sich aus keinerlei „sensationelle“<br />

Spekulationen hinzu, aber F.J.Murray vond er William S.Merrell Co in Cincinnati erklärte in einem<br />

Schreiben an Dr.Morrell, den Direktor des Direktorats für Lebens- und Arzneimittel (FDD), er sei

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