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Contergan oder die Macht der Arzneimittelkonzerne - Sternentaler

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noch diskutiert. Alle Forscher scheinen jedoch darin übereinzustimmen, dass Thalidomid ein<br />

äußerst wirksames Teratogen ist, das in 60 bis 100 Prozent <strong>der</strong> Fälle Missbildungen<br />

hervorruft, wenn es während <strong>der</strong> sensitiven Periode eingenommen wird. Bei Affen, an denen<br />

Missbildungen erzeugt wurden, <strong>die</strong> den bei Menschen beobachteten auffallend ähneln und<br />

bei denen ein Kontrollversuch durchgeführt werden kann, beträgt <strong>die</strong> Häufigkeit <strong>der</strong><br />

Missbildungen fast 100 Prozent, was für <strong>die</strong> am Menschen gefundene hohe Wirksamkeit des<br />

Thalidomids spricht. Es ist aus offensichtlichen Gründen manchmal recht schwierig,<br />

rückblickend zu überprüfen, ob zum Beispiel Thalidomid während <strong>der</strong> sensitiven Periode<br />

eingenommen wurde und nicht eine kurze Zeit früher <strong>o<strong>der</strong></strong> später. Obwohl <strong>die</strong> Kin<strong>der</strong> keine<br />

auffälligen, leicht erkennbaren Missbildungen aufwiesen, konnten bei einigen <strong>die</strong>ser Fälle<br />

nach gründlicher Untersuchung geringfügigere Defekte an den Daumen <strong>o<strong>der</strong></strong> den inneren<br />

Organen gefunden werden. Wenn Thalidomid <strong>die</strong>se beson<strong>der</strong>en Missbildungen<br />

verursachte, ist es im Prinzip bedeutungslos, ob Thalidomid in 70, 80 <strong>o<strong>der</strong></strong> 95 Prozent <strong>der</strong><br />

Fälle zu missgebildeten Kin<strong>der</strong>n führte, wenn das Mittel während <strong>der</strong> sensitiven Phase<br />

genommen wurde. Je<strong>der</strong> Biologe weiß, dass es in einer Gruppe leben<strong>der</strong> Organismen immer<br />

eine individuelle Variation in <strong>der</strong> Empfindlichkeit für z.B. ein Gift <strong>o<strong>der</strong></strong> ein Pharmakon gibt.<br />

Infolge er natürlichen biologischen Variation werden <strong>die</strong> einen Individuen stärker angegriffen<br />

als an<strong>der</strong>e, und einige zeigen vielleicht überhaupt keine Wirkung. Wenn etwa Tieren eines<br />

bestimmten Rattenstammes intraperitoneal 0,5mg Strychnin injiziert wird, werden<br />

annähernd 50 Prozent <strong>der</strong> Tiere sterben. Die Tatsache, dass <strong>die</strong> an<strong>der</strong>en 50 Prozent<br />

überleben, kann natürlich nicht als Beweis gegen eine kausale Beziehung zwischen <strong>der</strong><br />

Strychningabe und dem Tod <strong>der</strong> Ratten herangezogen werden.<br />

9. Der eigentliche Wirkungsmechanismus des Thalidomids ist unbekannt, und daher kann nicht<br />

bewiesen werden, dass Thalidomid <strong>die</strong>se Missbildungen verursachte. Dieser Standpunkt<br />

wurde von Professor Erich Blechschmidt vorgebracht, als er während des Alsdorfer<br />

Prozesses als einer <strong>der</strong> von Chemie Grünenthal benannten sachverständigen Zeugen<br />

aussagte. Dieses Argument ist logisch falsch. Um <strong>die</strong> Beziehung zwischen Ursache und<br />

Wirkung festzustellen, ist es nicht notwendig, den genauen Weg zu kennen, ist es nicht<br />

notwendig, den genauen Weg zu kennen, über den <strong>die</strong> Ursache schließlich <strong>die</strong> beobachtbare<br />

Wirkung herbeigeführt. Keines <strong>der</strong> pharmazeutischen Unternehmen, <strong>die</strong> das Präparat<br />

verkauften, scheint daran gezweifelt zu haben, dass Thalidomid tatsächlich eine gute<br />

Schlaftablette war, obwohl <strong>der</strong> Mechanismus <strong>der</strong> schlaferzeugenden Wirkung des<br />

Thalidomids unbekannt ist. Von den meisten Pharmaka ist <strong>der</strong> genaue<br />

Wirkungsmechanismus noch immer unbekannt, aber kein Arzt wird deshalb ihre Wirkung in<br />

<strong>der</strong> klinischen Anwendung bezweifeln. Bei den Barbituraten ist überhaupt noch nicht klar,<br />

wie sie den Schlaf herbeiführen. Aber kein Arzt würde es im geringsten bezweifeln, dass<br />

<strong>die</strong>se Wirkung durch Barbiturate zustande kommt. Die Ereignisse, <strong>die</strong> von <strong>der</strong> Absorption<br />

ionisieren<strong>der</strong> Strahlung, wie Gamma-Strahlen, zur endgültigen Manifestation <strong>der</strong><br />

Strahlenkrankheit führen, sind weitgehend unbekannt, aber kein Wissenschaftler wird<br />

deshalb daran zweifeln, dass eine <strong>der</strong>artige Strahlung, in einer bestimmten Dosis verabfolgt,<br />

Strahlenschäden herbeiführen kann. Der Schluss, dass Barbiturate <strong>o<strong>der</strong></strong> Thalidomid Schlaf<br />

hervorrufen, beruht auf Erfahrung. Thalidomid führte nicht bei jedem einzelnen Patienten<br />

den Schlaf herbei; aber bei einem großen Prozentsatz von Patienten mit Schlafstörungen<br />

hatte Thalidomid eine nützliche Wirkung. Im Einzelfall kann man nicht sagen, dass ein<br />

Verbrauch von 50 Zigaretten je Tag zwangsläufig zu Kreislaufstörungen <strong>o<strong>der</strong></strong> Lungenkrebs<br />

führen wird. Was behauptet werden kann, ist, dass <strong>die</strong> Wahrscheinlichkeit, dass eine Person<br />

<strong>die</strong>se Leiden bekommen kann, so und so viele Male größer ist, als wenn sie nicht rauchen<br />

würde. Im Fall <strong>der</strong> Pharmaka, bei denen meist sehr geringere Mengen des wirksamen Stoffes<br />

zugeführt werden-in <strong>der</strong> Größenordnung zwischen Bruchteilen eines Milligramms bis zu<br />

einem Gramm-wird <strong>die</strong>se eingebrachte Verbindung auf <strong>die</strong> zahllosen Zellen des Organismus<br />

verteilt. Jede einzelne Zelle stellt einen komplizierten Mechanismus dar, <strong>der</strong> aus<br />

komplizierten Strukturelementen aufgebaut ist (Mitochondrien, Ribosomen, Lysosomen,

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