Contergan oder die Macht der Arzneimittelkonzerne - Sternentaler
Contergan oder die Macht der Arzneimittelkonzerne - Sternentaler
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oftmals ängstlichen Gemüter <strong>der</strong> Apotheker. In <strong>der</strong> Absicht, günstige Stellungnahmen zu sichern,<br />
wurden Untersuchungen eingeleitet. Zu <strong>die</strong>sem Zweck wurde Verbindung mit Ärzten in den Landes-<br />
Heilanstalten aufgenommen, wo gewöhnlich positive Ergebnisse erzielt wurden. Patienten in<br />
<strong>der</strong>artigen (psychiatrischen) Krankenhäusern waren oft fällig unfähig, mit ihrer Umgebung in Kontakt<br />
zu treten, und kaum in <strong>der</strong> Lage, <strong>die</strong> Symptome <strong>der</strong> Polyneuritis zu beschreiben. Einer <strong>der</strong> Ärzte, <strong>die</strong><br />
<strong>Contergan</strong> zur Behandlung von Geisteskranken verwendeten, wies <strong>die</strong> Firma Grünenthal darauf hin,<br />
dass vom wissenschaftlichen Standpunkt <strong>der</strong> Beweiswert solcher Patienten nicht beson<strong>der</strong>s hoch ist.<br />
Am 7.Dezember 1960 schrieb das Verkaufsbüro in Düsseldorf an Herrmann Wirtz und Winandi:<br />
Wissen wir überhaupt wirklich, wie viele Nebenwirkungen durch <strong>Contergan</strong> verursacht wurden? Wir<br />
sind sicherlich von einigen Ärzten informiert worden, dass Patienten mit <strong>Contergan</strong>-Nebenwirkungen<br />
behandelt werden. Wir müssen uns jedoch fragen wie viele Patienten es noch gibt, <strong>der</strong>en Schädigung<br />
nicht erkannt worden ist.<br />
Im Dezember 1960 gingen Einwände aus dem Verkaufsbezirk Düsseldorf ein:<br />
Wir glauben nicht, dass es konstruktiv ist, <strong>der</strong> Abteilung Öffentlichkeitsarbeit über eine von<br />
Konkurrenten eingeleitete Kampagne zu berichten, wenn tatsächlich sowohl einige bekannte Kliniken<br />
in Nordrhein-Westfalen als auch zahlreiche Ärzte ernste Kritiken an <strong>Contergan</strong> vorgebracht haben.<br />
Wir haben Ihnen <strong>die</strong>se Fälle berichtet.<br />
Ein Vertreter Dr. Goeden, schreibt am 23. Februar 1961 über seinen Besuch in <strong>der</strong> Neurologischen<br />
Universitätsklinik in Köln. Ich trug unseren Standpunkt zum Problem <strong>Contergan</strong> und Polyneuritis vor<br />
und suchte vor allem Verwirrung zu stiften.<br />
Die Politik <strong>der</strong> Firma kann somit wie folgt zusammengefasst werden, wobei <strong>die</strong> benutzte Methode im<br />
Einzelfall durch <strong>die</strong> Situation bestimm wurde:<br />
1. Alle ursächlichen Zusammenhänge zwischen Thalidomid und Polyneuritis werden<br />
abgestritten.<br />
2. Wenn keine Möglichkeit besteht, zu bestreiten, dass Thalidomid Nervenschädigungen<br />
verursacht hat ,<br />
- Wird <strong>die</strong> Nervenschädigung mit einer allergischen Reaktion in Beziehung gebracht.<br />
- Wird <strong>die</strong> schwere <strong>der</strong> Polyneuritis bagatellisiert<br />
- Werden Informationen über <strong>die</strong> wirkliche Zahl <strong>der</strong> Fälle <strong>die</strong> <strong>der</strong> Firma bekannt sind<br />
zurückgehalten<br />
- Werden <strong>die</strong> Gerüchte über toxische Wirkungen des Thalidomids verleum<strong>der</strong>ischen<br />
Kampagnen <strong>der</strong> Konkurrenten zugeschrieben<br />
- Ist hinsichtlich <strong>der</strong> tatsächlichen Natur <strong>die</strong>ser Schädigung Verwirrung zu stiften.<br />
Es muss betont werden, dass Thalidomid von den Ärzten häufig nicht als Ursache <strong>der</strong> Polyneuritis<br />
erkannt und <strong>die</strong> Nervenschädigung oft recht unterschiedlichen Ursachen zugeschrieben wurde, weil<br />
behauptet worden war, dass Thalidomid ein völlig unschädliches Mittel sei, dass ohne<br />
Einschränkungen eingenommen werden kann. Natürlich machte auch <strong>die</strong> vom Hersteller betriebene<br />
Propaganda <strong>die</strong> Diagnose noch schwieriger. Noch Jahre, nachdem Thalidomid vom Markt<br />
verschwunden war, stießen viele Patienten mit schwerer Thalidomid-Polyneuritis in Schweden auf<br />
den Unglauben von Ärzten, wenn sie <strong>die</strong> Vermutung aussprachen, dass ihr Leiden durch Thalidomid<br />
verursacht worden sei. Die Beziehung wurde nur hergestellt, wenn <strong>die</strong> Patienten zu einem<br />
Spezialisten kamen, <strong>der</strong> vorher einen <strong>der</strong>artigen Fall gesehen hatte. Die Zahl <strong>der</strong> in <strong>der</strong> medizinischen<br />
Literatur veröffentlichen <strong>o<strong>der</strong></strong> dem Hersteller berichteten Fälle ist lediglich <strong>die</strong> Spitze des Eisbergs;<br />
<strong>die</strong> Mehrzahl <strong>der</strong> fälle bleibt verborgen. Solange <strong>die</strong> Nebenwirkungen des Thalidomids nicht<br />
allgemein bekannt waren, müssen sich <strong>die</strong> Produzenten darüber im klaren gewesen sein, dass <strong>die</strong><br />
Fälle, <strong>die</strong> <strong>der</strong> Firma berichtet wurden, nur ein Bruchteil <strong>der</strong> tatsächlichen Anzahl waren. Dennoch war<br />
<strong>die</strong> Zahl <strong>der</strong> berichteten Fälle beträchtlich und betrug Ende Mai 1961 ungefähr 1300.<br />
Die Lage verschlechterte sich plötzlich für Chemie Grünenthal, als <strong>die</strong> Firma erfuhr, dass <strong>der</strong><br />
Neurologe Dr. Ralf Voss beabsichtigte, verschiedene typische fälle während eines Fortbildungskurses<br />
für Neurologen am 15.Februar 1961 in Düsseldorf vorzustellen. Es schien nunmehr unvermeidbar,<br />
dass <strong>die</strong> Thalidomid-Polyneuritis jetzt einem weiteren Kreis bekannt werden würde. Dr. Sievers<br />
stattete Dr. Voss einen Besuch ab und versuchte den Düsseldorfer Arzt zu überreden, <strong>die</strong>se<br />
Schädigung nicht in seinem Vortrag zu erwähnen. Aus Furcht, missverstanden zu werden, hatte Dr.