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Contergan oder die Macht der Arzneimittelkonzerne - Sternentaler

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Am 8.September brachte <strong>die</strong> „Winnipeg Free Press“ den folgenden Auszug:<br />

„Es war unvermeidlich, dass in den Nachwirkungen <strong>der</strong> Thalidomid-Tragö<strong>die</strong>n eine gewisse Panik in<br />

bezug auf Arzneimittel entstand. Die Gefahr besteht jetzt darin, dass, wie beim Thalidomid, <strong>die</strong><br />

Nebenwirkungen <strong>der</strong> Behandlung schädlicher sein könnten als <strong>die</strong> Krankheit.<br />

Es gibt verschiedene gefährliche Nachteile:<br />

Erstens können Patienten, <strong>die</strong> gegenüber allen Wun<strong>der</strong>mitteln plötzlich misstrauisch geworden sind,<br />

sich weigern, Arzneimittel zu nehmen, <strong>die</strong> für ihre Gesundheit wirklich notwendig sind. Tausende von<br />

Ärzten mussten sich in den vergangenen Wochen mit <strong>die</strong>ser Situation auseinan<strong>der</strong>setzen.<br />

Zweitens können Regierungen durch öffentlichen Druck gezwungen werden, einschränkende<br />

Bestimmungen zu verfassen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Entwicklung benötigter neuer Arzneimittel hemmen könnten<br />

und dabei keinen wirklichen Schutz gegen eine Wie<strong>der</strong>holung <strong>der</strong> Thalidomid-Episode darstellen.“<br />

Wie<strong>der</strong> wird <strong>die</strong> irreführende Behauptung wie<strong>der</strong>holt:<br />

„ Es (Thalidomid) wurde nicht auf mögliche teratogene Wirkungen (<strong>die</strong> Verursachung angeborener<br />

Missbildungen) geprüft, einfach, weil sich <strong>die</strong> Notwendigkeit <strong>der</strong>artiger Tests bisher niemals ergeben<br />

hatte. Kurz gesagt: Niemand hat auch nur an <strong>die</strong>se Möglichkeit gedacht.“<br />

In Kanada wurde eine parlamentarische Untersuchung über <strong>die</strong> Behandlung des Thalidomid –Falles<br />

durch das Direktorat für Lebens- und Arzneimittel vorgenommen, aber ihre Ergebnisse wurden nie<br />

<strong>der</strong> Öffentlichkeit bekanntgegeben.<br />

Die Rokeah Pharmaceutical Association schrieb am 28.August 1962 an Dr. Morrell:<br />

„Wir schreiben, um unsere Auffassung darzulegen, dass wir nur den Eindruck haben können, dass<br />

Ihre Dienststelle in bezug auf Thalidomid ihre Verantwortung sehr lässig wahrgenommen hat. Ein von<br />

Morrell abgesandter Brief erklärt, dass Ihre Dienststelle über <strong>die</strong> Möglichkeit von Missgeburten<br />

infolge des Präparats im November 1961, informiert war, aber erst im März 1962, nahezu vier<br />

Monate später, angeordnet wurde, das Mittel vom Markt zurückzuziehen. Es erscheint uns sicher,<br />

dass es im November 1961, als <strong>die</strong> ersten Berichte erschienen und Sie darüber unterrichtet wurden,<br />

Zeit war, zu handeln: entwe<strong>der</strong> das Mittel zurückzuziehen, <strong>o<strong>der</strong></strong> zumindest den weiteren Handel<br />

während <strong>der</strong> Prüfung <strong>der</strong> Berichte zu verhin<strong>der</strong>n.“<br />

Dr. Morrell antwortete am 4.September: „Die geltenden Vorschriften ermächtigen uns nicht, den<br />

Verkauf eines Arzneimittels in Kanada zu verbieten.“<br />

Am 16.August 1962 behauptete Fr. Hugh Wadey, <strong>der</strong> kanadische geschäftsführende Direktor <strong>der</strong><br />

William S.Merrell Co., in einem Ärzte gerichteten Brief: „Zu keiner Zeit wurde in <strong>der</strong> Kevadon-<br />

Literatur <strong>die</strong> Anwendung des Mittels bei Schwangerschaftserbrechen vorgeschlagen.“ In <strong>der</strong><br />

Broschüre namens „Kevadon-Merrell- sicherer und tiefer Schlaf“, für Merrell in Kanada gedruckt,<br />

findet sich unter <strong>der</strong> Überschrift „Angaben über <strong>die</strong> Sicherheit“ <strong>der</strong> folgende Absatz: „Nulsen<br />

verabfolgte 100mg Kevadon an 81 werdende Mütter und Blasiu an 160 stillende Mütter. In beiden<br />

Fällen wurden alle Kin<strong>der</strong> ohne Abnormitäten und schädliche Wirkungen durch <strong>die</strong> Medikation<br />

geboren <strong>o<strong>der</strong></strong> gestillt.“<br />

Es gibt nicht den geringsten Zweifel daran, dass <strong>die</strong> Produzenten des Thalidomids und ihre<br />

Lizenzpartner wussten, dass <strong>die</strong>ses Präparat von den Ärzten in <strong>der</strong> Behandlung schwangere Frauen<br />

angewandt wurde.<br />

Im Oktober 1961 brachte <strong>die</strong> Firma Distillers eine Anzeige heraus, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Sätze enthielt: „Distaval<br />

kann schwangeren Frauen und stillenden Müttern mit völliger Sicherheit, ohne nachteilige Wirkung<br />

auf Mutter <strong>o<strong>der</strong></strong> Kind, gegeben werden.“ Obwohl „Schwangerschaftserbrechen“ nicht erwähnt<br />

wurde, ist das Wesentliche daran, dass Thalidomid in allgemeiner Form zur Anwendung während <strong>der</strong><br />

Schwangerschaft empfohlen wurde.<br />

Dr. helen Taussig, Professor <strong>der</strong> Pädiatrie von <strong>der</strong> Johns Hopkins-Universitäten in Baltimore, gibt<br />

weitere Beispiele für <strong>die</strong> Schwierigkeiten, auf <strong>die</strong> man beim Aufspüren <strong>der</strong> Produktion und des<br />

Verkaufs thalidomidhaltiger Arzneimittel stieß. Sie zitiert einen Bericht aus dem brasilianischen<br />

Magazin „Ocruziero“ vom 6.September 1962:

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