Schön ist Bergmannsleben? - Institut 13: Ethnomusikologie ...
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Unter den von Topitsch erwähnten Leitvorstellungen sind bestimmte Grundkonzepte<br />
und Modelle zu verstehen, nach denen die Welt gedeutet wird. Topitsch schreibt dazu:<br />
„Diesen vier Gruppen emotional und lebenspraktisch grundlegender Gegebenheiten unseres<br />
Daseins – den sozialen Beziehungen, dem handwerklich-künstlerischen Verfertigen, den auffälligsten<br />
Lebenserscheinungen und der Auseinandersetzung mit dem Druck der Realität – entstammen<br />
die maßgebenden Motive und Modellvorstellungen von Formen der Weltauffassung<br />
und Selbstdeutung, welche viele Jahrtausende hindurch das menschliche Denken fast unbestritten<br />
beherrscht haben und erst unter dem Einfluß der modernen Wissenschaft zurückgetreten<br />
und verblaßt sind. Von jenen zentralen Gegebenheiten ausgehend, erschließt sich der Mensch<br />
die weitere Umwelt, indem er die wohlbekannten und gefühlsgesättigten Merkmale und Eigenschaften<br />
seines engeren Lebenskreises unbewußt auf das Fernerliegende und Unbekannte überträgt.<br />
Auf diese Weise deutet er die Welt soziomorph als gesellschaftliches Gebilde, technomorph<br />
als Erzeugnis der Kunstfertigkeit oder biomorph nach dem Muster des Lebendigen; dazu<br />
kommt noch der [...] Vorstellungskreis der weltüberlegenen ‚Seele’, der besonders in<br />
schaman<strong>ist</strong>ischen und verwandten Formen der Magierekstatik sowie in den Reinigungsmysterien<br />
eine Schlüsselrolle spielt und den man daher als den ekstatisch-kathartischen bezeichnen<br />
kann.“ 70<br />
In Topitschs Analysen finden sich zahlreiche Beispiele für Weltanschauungen aus Gegenwart<br />
und Vergangenheit, die diesen Leitvorstellungen folgen. 71 Für die vorliegende<br />
Untersuchung sind jedoch vor allem die Weltanschauungsfunktionen von Belang, denn<br />
sie liefern die Kategorien, nach denen in der vorliegenden Arbeit einerseits die musikalische<br />
Struktur und die Texte der Bergmannslieder, andererseits die Verwendung der<br />
Bergmannslieder analysiert werden sollen. Allerdings soll auch darauf geachtet werden,<br />
ob und in welchem Maße die erwähnten Leitvorstellungen in Bergmannsliedern zum<br />
Ausdruck kommen.<br />
Es <strong>ist</strong> nicht notwendig alle Ergebnisse Topitschs zu teilen, zu denen er in seinen Untersuchungen<br />
kommt, jedoch liegt mit dem Begriff des plurifunktionalen Führungssystems<br />
ein gutes Werkzeug vor, um Ideologien und ihren Einfluss in der sozialen Realität einer<br />
Analyse zu unterwerfen. Sicherlich <strong>ist</strong> Topitsch zuzustimmen, dass die Funktion der<br />
Welterklärung plurifunktionaler Führungssysteme mehr und mehr durch die Erkenntnisse<br />
der modernen Wissenschaften zurückgedrängt wurde, dass die modernen Wissenin<br />
prominenter Weise durch die zehn Gebote vermittelt. Eine mögliche Form der emotionalen Auseinandersetzung<br />
mit der Realität besteht z.B. in der Lehre vom himmlischen Paradies, das den Gläubigen am<br />
Ende des Weges durch das irdische Jammertal erwartet. Diese Analyse <strong>ist</strong> ohne Frage oberflächlich und<br />
aus religionswissenschaftlicher Sicht wahrscheinlich grob verallgemeinernd, sie sollte aber verdeutlichen,<br />
was unter den beschriebenen Weltanschauungsfunktionen zu verstehen <strong>ist</strong>.<br />
70 Topitsch 1988:58.<br />
71 Vgl. u.a. Ernst Topitsch, Vom Ursprung und Ende der Metaphysik. Eine Studie zur Weltanschauungskritik,<br />
München 1972: Deutscher Taschenbuch Verlag. Topitsch 1988.<br />
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