Schön ist Bergmannsleben? - Institut 13: Ethnomusikologie ...

durch umfangreiches Material gestützt ist, lässt sich jedoch nicht ausschließen, dass
nicht doch musikalische Strukturen für die Analyse von Ideologie in Bergmannsliedern
relevant sein könnten. Selbst wenn kein spezifischer Bergmannsliederstil existiert, sind
musikalisch-strukturelle Aspekte für das einzelne Lied und seine möglichen Bedeutungen
und Wirkungen trotz allem relevant. Dies gilt umso mehr für den Fall des konkreten
Gebrauchs eines Liedes: Welchen melo-rhythmischen Charakter besitzt es? Ist es als
Marschlied geeignet? Wie ist es arrangiert? Dies alles sind Fragen, die besonders für die
Untersuchung des Bergmannsliedes in der Ideologie relevant sind. Brenner stellt, unter
Bezug auf musikpsychologische Forschungsergebnisse, fest,
„daß, um bestimmte Bereitschaften zu erzielen, bestimmte melodisch/harmonische Modelle
notwendig bzw. diese Modelle nicht beliebig austauschbar sind. Der Text von ‚Auf, auf zum
Kampf’ wird selbst bei Stimmigkeit aller anderen Komponenten mit einer unterlegten, stufenweise
fortschreitenden Choralmelodie weniger gut im Sinne der Weckung von Kampfbereitschaft
funktionieren als die lediglich durch einige Durchgangstöne verschleierte, auf trompetenrufartigen
Dreiklangszerlegungen basierende Originalmelodie im Marschrhythmus.“ 95
Abgesehen von solchen allgemeinen – aber kulturspezifischen – psycho-physischen
Wirkungen musikalischer Strukturen ist vor allem ein weiterer Aspekt relevant, nämlich
die Semantik vorhandener struktureller Elemente. Melodien, Rhythmen, Tonsatztechniken,
Instrumentation u.a. können konnotative Bedeutungen aus ihrem Gebrauch erhalten.
Dadurch können strukturelle Elemente als Symbole fungieren, die auf ideologische
Inhalte verweisen. 96 Die Ideologisierung und die symbolische Funktion struktureller E-
lemente sollen daher im Folgenden im Mittelpunkt der Betrachtung stehen.
Zur Frage, welche Rolle Melodien bei der symbolischen Ideologisierung von Musik
spielen können, sollen erneut „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ und die
nationalsozialistische Variante „Brüder in Zechen und Gruben“ betrachtet werden. Die
Melodie und der Text waren klar als „links“ konnotiert, das Singen des Liedes durch die
Nationalsozialisten war durchaus ein bewusster Akt der Provokation, ein Umstand, den
sich die Nationalsozialisten auch bei anderen adaptierten Lieder zunutze machten und
sich damit auch brüsteten. 97
Die Informationsfunktion des Liedes wird durch eine
zusätzliche Ebene erweitert: die Nationalsozialisten werden so über ihre linken Gegner
siegen, wie sie sich des Lieds ihrer Gegner ermächtigt haben. Dieser Akt des
symbolischen Triumphes, die Unterwerfung der sozialdemokratischen bzw.
kommunistischen Melodie, wurde durch „Brüder in Zechen und Gruben“ zugespitzt.
95 Brenner 1992:20-21.
96 Vgl. Brenner 1992:21-22
97 Vgl. Dithmar 1999:24-25.
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