Schön ist Bergmannsleben? - Institut 13: Ethnomusikologie ...

distenmarsch („Kühn, Genossen, im Gleichschritt marschiert“) geschrieben und erlangte
schnell Beliebtheit unter deutschen Sozialdemokraten und Kommunisten. 88
„1. Brüder, zur Sonne, zur Freiheit,
Brüder zum Lichte empor!
Hell aus dem dunklen Vergangnen
leuchtet die Zukunft hervor!
2. Seht, wie der Zug der Millionen
endlos aus Nächtigem quillt,
bis euer Sehnsucht Verlangen
Himmel und Nacht überschwillt!
3. Brüder, in eins nun die Hände,
Brüder, das Sterben verlacht!
Ewig der Knechtschaft ein Ende,
heilig die letzte Schlacht!“ 89
Dieser Liedtext zeichnet sich durch eine Eigenschaft aus, die Karbusicky als „funktionale
Polyvalenz“ 90 bezeichnet, d.h. die Denotation des Textes ist ideologisch unspezifisch,
der Textbezug ist indirekt. Zwar werden die Funktion der Informationsvermittlung,
Handlungssteuerung und emotionalen Auseinandersetzung erfüllt, aber es ist unklar
welche Zukunft aus welchem dunklen Vergangnen hervorleuchtet, was Gegenstand der
Sehnsucht ist, welcher Knechtschaft ein Ende gesetzt werden soll und für was in der
letzten Schlacht gekämpft werden wird. Das, was gemeint ist, wird erst durch die vom
Kontext bestimmten konnotativen Bedeutungen aufgeklärt. Wenn das Lied von kommunistischen
Arbeitern gesungen wird, dann ist klar, dass die Knechtschaft des Kapitalismus
überwunden werden soll, dass die leuchtende Zukunft eine kommunistische Gesellschaft
ist usw. Ebenso gibt Hermann Scherchens politische Ausrichtung Aufschluss
über die Primärintention des Liedes. Die funktionale Polyvalenz des Liedes hatte jedoch
zur Folge, dass die Nationalsozialisten das Lied unverändert übernehmen konnten und
ihm dadurch eine neue Postintention verliehen. 91 Zu finden ist es unter anderem im SA-
88 Reinhard Dithmar, „Das ‚gestohlene’ Lied. Adaptionen vom Liedgut der Arbeiterbewegung in NS-
Liedern“, Gottfried Niedhart und George Broderick (Hgg.), Lieder in Politik und Alltag des Nationalsozialismus,
Frankfurt am Main u.a. 1999: Peter Lang, 25.
89 Dithmar 1993:75.
90 Karbusicky 1973:10.
91 Vgl. Dithmar 1999:25-26.
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