Zeitgenossen - Kommentar Drucke bis Rezeption
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VI-36<br />
DIE ZEITGENOSSEN (APPARAT)<br />
die Brockhausischen Blätter [→ Dokumente zur <strong>Rezeption</strong>sgeschichte,<br />
Rezensionen, Nr. 1], von einem Werke, worin der Verfasser<br />
[...] sein bestes Wissen und Können, sein schönstes Hoffen und<br />
Wünschen niederlegte, an dessen Verbreitung er, von den schwierigsten<br />
Umständen gedrängt, den zweideutigen Versuch der Täuschung<br />
wagte, die Erscheinung berührten, um nur einige Stellen<br />
aus dem Zusammenhang zu reißen und den Verfasser zu verunglimpfen?<br />
Es nimmt mich kein Wunder, daß das Publikum, welches in der<br />
Lectüre nur Erholung und Unterhaltung sucht, das sich höchstens<br />
zu ‚Reisenovellen‘ versteigt, sich zu diesen Z e i t g e n o s s e n nicht<br />
drängte. Wenn aber das Publikum, das den Faust in der Tasche<br />
trägt und noch mehr aus ihm heraus oder vielmehr hineinlieset als<br />
die Commentatoren desselben, das [260] Publikum, das vor zehn<br />
Jahren die Seherin von Prevorst verschlang, das die Rahel lobt und<br />
Strauß Leben Jesu bewundert, lau ist gegen eine Erscheinung wie<br />
diese, so muß es wohl sein, weil es die Kritik noch nicht gezwungen<br />
hat, dem Kaiser zu geben was des Kaisers ist.<br />
[...] ihr möget in den kurzen sinnigen Sprüchen Göthe’s und<br />
den langen philosophischen Deductionen der Commentare das<br />
Räthsel gelöset glauben, das euch und das Leben eurer Mitwelt<br />
umdunkelt; leset die Z e i t g e n o s s e n ! Auch sie sind ein Commentar<br />
des Faust. Aber d e s Faust, der das 19te Jahrhundert ist<br />
und von dem ihr selbst ein Theil seid. [→ Globalkommentar: 6.1.1.<br />
Die enzyklopädische Darstellungsweise der <strong>Zeitgenossen</strong>]<br />
Ihr seid ja sonst so eitel auf eure Klugheit und eure Tugenden,<br />
auf eure Wissenschaft und eure Kunst, auf eure Industrie und euren<br />
Handel, eitel selbst auf eure [261] Laster. Geht, spiegelt euch!<br />
Aber erschreckt nicht, es ist ein Hohlspiegel, in dem ihr euch erblickt,<br />
mit vieler Kunst und mühsamer Arbeit in Metall geschliffen.<br />
Ihr seht nicht nur den glatten äußern Schein, ihr seht die kleinste<br />
Narbe, die verborgenste Runzel und viel getrockneten Schweißes.<br />
Erschreckt nicht, wenn ihr seht, daß die Larve von eurem Treiben<br />
gerissen ist, daß die Illusionen zerstört sind, die tausend Kerzen<br />
des Ballsaals, die bunten Gruppen, die schönen Decorationen vor<br />
dem Glanze des Tagslichts erbleichen und zerstäuben. Denkt, daß<br />
das Fastnachtsspiel nicht ewig währen kann, daß der Tag kommen<br />
© EDITIONSPROJEKT KARL GUTZKOW, MARTINA LAUSTER, EXETER 2000 (F. 1.0)