Zeitgenossen - Kommentar Drucke bis Rezeption
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VI-40<br />
DIE ZEITGENOSSEN (APPARAT)<br />
stens das nicht ganz wahr, was von dem Verderben gesagt wird,<br />
das durch die Kartoffeln der Gesellschaft käme. Unsere neuern<br />
Chemiker wollen weder von dem Blausäuren-Gehalt der Kartoffeln<br />
etwas wissen, noch weniger aber unsere Aerzte von der stimulirenden<br />
Kraft derselben. – Aber das Siechthum, die Skrophulen der<br />
Armuth sind da, und sie sind Folgen der materiellen Unzulänglichkeiten.<br />
Fassen wir diese bildlich unter dem Namen der Kar-<br />
[273]toffeln zusammen, so ist dieses schreckhafte Gemälde doch<br />
wahr, wahr auch, daß Pietismus und die Revolution die extremen<br />
Folgen dieser im Volke verbreiteten materiellen Unzulänglichkeiten<br />
sind. –<br />
Und die Mittel, diese Uebel zu lindern? Manche lernen wir im<br />
Verlaufe dieses Buches noch kennen, hier heißt es: ‚Man solle auf<br />
die Zeit selbst zu wirken und ihr die gedankenlose materielle Tendenz<br />
zu nehmen suchen, welche sich bedeutend mildern würde,<br />
wenn unsere Erziehung mehr für die wirkliche Welt geschähe und<br />
wir in der Schule schon lernten, vom Leben nicht allzugroße Hoffnungen<br />
zu hegen.<br />
Verstehe ich recht, so ist es der Enthusiasmus für Menschenwohl,<br />
und die unbedingte Liebe zur Menschheit, die kräftigen nur<br />
und helfen kann. Gutzkow sagt: ‚Es ist der Enthusiasmus der Ueberzeugungen<br />
eine Kraft geworden, die unserer Zeit mit den Anfängen<br />
des Christenthums und der Reformation eine Aehnlichkeit<br />
giebt.‘ Dieser Enthusiasmus der Ueberzeugung ist es allein, von<br />
dem Heil zu erwarten ist in Verbindung mit der Steigerung der<br />
materiellen Künste. Aber es darf derselbe nicht auf eine einseitige<br />
Idee gerichtet sein, er muß das ganze Leben, die ganze Menschheit<br />
umfassen. Nicht ein einseitiger Enthusiasmus [274] für Republik,<br />
oder für Eisenbahnen, oder für Katholicismus, oder für Deutschthum,<br />
kann unser Jahrhundert fördern, sondern nur ein Enthusiasmus,<br />
der, auf wissenschaftlicher Ueberzeugung fußend, alle diese<br />
Interessen organisch in sich faßt, und nach ihrem verschiedenen<br />
Werthe an und für sich und zu dem Bedürfnisse der Zeit zu steigern,<br />
zu befestigen und zu verbinden weiß. [Globalkommentar: →<br />
6.1.2.2. Frühe Soziologie; → 6.1.3.2. Naturwissenschaftliche Paradigmen;<br />
→ 6.1.3.3. Frühe Kultursemiotik; → Enzyklopädie und<br />
Revue als Ordnungen des Wissens] [...]<br />
© EDITIONSPROJEKT KARL GUTZKOW, MARTINA LAUSTER, EXETER 2000 (F. 1.0)