Jahresbericht 1988/89
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hatte. Statt tausender [vlenschen war nur mehr ein kleines Mädchen mit seiner<br />
Mutter in dem Kasten eingesperrt. Vergnügt über so viel Platz, sang<br />
das Mädchen fröhliche Lieder und tanzte im Fernseher umher, während seine<br />
Mutter dazu Klavier spielte. Die Freude des Kindes und seiner Mutter ward<br />
sofort auf mich Übertragen, und ich beschloß, mich bei dem Verkäufer im<br />
Namen aller Opfer zu bedanken. Schwungvoll öffnete ich die Eingangstüre des<br />
Geschäftes und rief mit lauter Stimme dem Angestellten zu: "Mein Freund!<br />
Ich wußte, daß Ihr kein böser Mensch seid! Habt Dank für Eure gute Tat<br />
im Namen aller!" Der Verkäufer blickte mich verdutzt an, griff sich an den<br />
Kopf und murmelte etw1:s von "Türe zu!", während er sich in den Lagerraum<br />
des Geschäftes zurückzog.<br />
Frohen Mutes verließ ich den Laden und begann mich nach einer Bleibe umzusehen.<br />
Doch wo sollte ich einen Wohnort finden, der meinen Ansprüchen genügen<br />
konnte? Ich war gewohnt, mit den Tieren aufzustehen und mit der<br />
Sonne schlafenzugehen. Sollte ich nun, wo ich bereits 77 Jahre zählte, meine<br />
Gewohnheiten ändern? Sollte ich auf den geliebten Wald verzichten und in<br />
einer "Betonwüste" leben? Nein, das wollte ich nicht! Ich entschloß mich,<br />
einen Wald zu suchen. Unermüdlich pilgerte ich durch die Stadt - doch vergebens.<br />
Plötzlich schlug eine alte Turmuhr fünfm:JJ.. Menschenrnassen strömten<br />
aus den grauen Gebäuden zu Stufen, die anscheinend bis in das Erdinnere<br />
führten. Noch ehe ich reagieren konnte, wurde ich von dem Sog mitgezogen<br />
und befand mich auf einmal in einer unterirdischen Halle. Die Wände<br />
dieses Raumes waren mit Farbe besprüht und wurden mit Lichtern, die der<br />
Sonne ähnlich waren, jedoch von der schwarz gefärbten Decke kamen, beleuchtet.<br />
Die IVJenschen versammelten sich; nervös und abgespannt steckten<br />
sich die meisten von ihnen weiße Stangen, die sie später anzündeten, in<br />
den Mund. Daraufhin begannen sie, stinkenden Rauch auszuatmen. Ich<br />
wußte nicht, warum sie das taten, doch je besser ich die Menschen des<br />
20. Jahrhunderts kennenlernte , desto mehr zweifelte ich an ihrer Art zu<br />
leben und umso mehr sehnte ich mich nach der Heimat.<br />
Während ich in Gedanken versunken in dieser Halle stand, erschien plötzlich<br />
unter immer lauter werdendem Rattern ein silbrig-glänzender, starrer Wurm.<br />
Ruckartig öffneten sich zahlreiche Türen, worauf die Wartenden, wie von<br />
Panik ergriffen, in das Gefährt stiegen. Mir wurde klar, daß der Mensch<br />
dieses Tier nutzte, um schneller vorwärtszukommen , und ich begriff, daß<br />
diese Tatsache für mich die letzte Möglichkeit darstellte, einen Wald zu finden.<br />
Unsicher betrat ich ebenfalls das silberne Ungeheuer, und nachdem eine<br />
[Viännerstimme "Bitte zurücktreten! Türen schließen!" von oben herunter gerufen<br />
hatte, setzte sich der Wurm in Bewegung. Mir wurde flau im Magen,<br />
sodaß ich Platz nahm. Eine Frau mir gegenüber strickte eifrig an einem Schal.<br />
Ich nutzte diese Gelegenheit, ungestört mit jemandcm reden zu können, und<br />
fragte "ganz beiläufig", ob es in der Nähe einer Haltestelle einen Wald gäbe.<br />
Die Frau bemerkte bereits an meiner Aussprache, daß ich ein Fremder war.<br />
Stolz erwiderte sie, daß die U-Bahn, wie sie das Gefährt, in dem wir saßen,<br />
nannte, direkt vor einem großen Wald Endstation hätte. Obwohl mir diese<br />
Auskunft sehr große Freude bereitete, konnte ich meine MÜdigkeit nicht mehr<br />
zurückhalten, und ich mußte für kurze Zeit die Augen schließen. Auf einmal<br />
wurde ich durch die mir bereits bekannte Männerstimme, die von oben her<br />
"Endstation!" rief, geweckt. Schleunigst verließ ich die U-Bahn und eilte<br />
die Stufen hinauf ins Freie. Doch als ich den Wald erblickte, lösten sich<br />
meine Freude, meine Zukunftspläne und Vorstellungen in Nichts auf. Der Wald<br />
war zur einen Hälfte tot, zur anderen Hälfte krank. Die Luft erinnerte mich<br />
nicht an die übliche Waldluft , sondern sie war verdreckt, so wie alles in<br />
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