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Jahresbericht 1988/89

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Mag.<br />

Gerhardt Stenger<br />

International<br />

17<strong>89</strong> - Anmerkungen zur 200-Jahr-Feier<br />

"Frankreich", ätzte im Vorjahr ein französischer Journalist, "ist seiner<br />

Chronologie ständig voraus: so feiert es eben mit viel Aufwand das 199­<br />

jährige Jubiläum der Französischen Revolution, denn 19<strong>89</strong> wird nichts grundlegend<br />

Neues mehr zu diesem Thema veröffentlicht werden." Ohne im näheren<br />

auf die Fülle französischer wie auch fremdsprachiger Publikationen einzugehen,<br />

die in der Tat schon seit einem Jahr den 200. Geburtstag der Französischen<br />

Revolution begleiten, wollen wir uns im folgenden darauf beschränken, einige<br />

grundsätzliche Betrachtungen zur "Großen Revolution der Franzosen" anzustellen.<br />

Die Erstürmung der Bastille am 14. Juli 17<strong>89</strong> hat im Rückblick der Ereignisse<br />

sicherlich den endgültigen Zusammenbruch des ancien regime, der "alten Ordnung",<br />

eingeleitet. Nichtsdestoweniger muß der Beginn des revolutionären<br />

Prozesses bereits viel früher veranschlagt werden. Frankreich, dH~ durch<br />

die vielen Kriege LUDWIGS XIV., des SonnenköniE;s, nach dessen Tod (1715)<br />

ausgeblutet war, hatte im Laufe des 18. Jahrhunderts einen noch nie d1lgewesenen<br />

wirtschaftlichen Aufschwung erlebt. Sein Nachfolger LUDWIG XV.,<br />

dessen Umkreis bezeichnenderweise der Wahlspruch "Nach uns die Sintflut!"<br />

zugeschrieben wird, hatte aber seinem Enkel im Jahre 1774 ein zerrüttetes<br />

Staatswesen mit dem Eingeständnis, schlecht regiert zu haben, hinterlassen.<br />

Im Zuge der lndustrie-, Finanz-, Handels- und Agrarkrisen der Jahre<br />

1787-<strong>89</strong>, die von wiederholten Mißernten begleitet waren, kam es vielerorts<br />

zu Bauern- und Arbeiteraufständen . Gleichzeitig lief auch die Aristokratie<br />

selbst gegen die Königsgewalt Sturm, da sie es ablehnte, ungeachtet der<br />

gefährlichen Lage auch nur auf einen Teil ihrer feudalen Vorrechte zu verzichten.<br />

Im Dauphine war es das Bürgertum, das sich an die Spitze der<br />

Opposition stellte: Von den Dächern Grenobles überschüttete das Volk am<br />

7. Juni 1788 Straßenpatrouillen mit einem Steinhagel und bemächtigte eich<br />

- vorübergehend - der Stadt. LViit diesem "Tag der Dachziegel" leitete im<br />

Vorjahr die Tageszeitung Le Monde programmatisch ihre Chronik der Französischen<br />

Revolution ein. Der 14. Juli 17<strong>89</strong> selbst wurde übrigens nicht<br />

von allen Zeitgenossen sofort als einschneidendes Datum verstanden: Sogar<br />

der König, obwohl er vom Sturz der Bastille noch am gleichen Tag erfahren<br />

hatte, notierte am Abend lapidar in sein Tagebuch: "Nichts" .1) Dies ist<br />

nicht so ungewöhnlich, wie es vielleicht scheinen mag. Die erste Etappe der<br />

Revolution, die mit der Erstürmung der Bastille eingeleitet wurde, war<br />

charakterisiert durch die politische Herrschaft der Großbourgeoisie und verbürgerlichter<br />

liberaler Adeliger wie fv'iIRABEAU oder LAFAYETTE. Die Verfassung,<br />

die im September 1791 angenommen und vom König ratifiziert wurde,<br />

entsprach ganz den großbürgerlichen Zielen: Die Monarchie blieb bestehen,<br />

wenn auch in konstitutioneller Form. Für viele Franzosen, insbesondere aus<br />

den unteren Schichten, begann der Umsturz erst am 10. August 1792 mit<br />

der Bildung der revolutionären Commune und der Erstürmung der Tuilerien<br />

unter der Roten Fahne. Dieser Aufstand war zudem im Unterschied zum<br />

Sturm auf die Bastille nicht das alleinige Werk der Pariser, sondern der in<br />

Paris versammelten Vertreter des gesamten französischen Volkes. Der Thron<br />

war gestürzt und mit ihm die Herrschaft der monarchistischen Großbourgeoisie.<br />

1) Der Dialog zwischen LUDWIG XVI. und dem Herzog von LA ROCHE­<br />

FOUCAULT-LIANCOURT nach dem Bekanntwerden der Ereignisse: "Ist<br />

es eine Revolte'! - Nein, Sire, eine Revolution" ist allerdings nicht<br />

authentisch.<br />

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