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Probefahrt ins Chaos - Frankfurter Neue Presse

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Seite 24 FNP FRANKFURT Samstag, 24. September 2011<br />

„Ich habe viele Heimaten“<br />

„Sagenhaft unnerwegs“ ,das ist Manuel Tiranno in<br />

der Rhein-Main-Zeitung der F.A.Z. schon seit 2007.<br />

Er zeichnet <strong>Frankfurter</strong> Sagen, die wöchentlich als<br />

Comic-Strip erscheinen. Er studierte an der internationalen<br />

Comic-Zeichner-Schule in Rom, der Universität<br />

Frankfurt und in Florenz. Helen Schneider geht auf<br />

die Fürst-Johann-Ludwig Schule in Hadamar und<br />

zeichnete das Bild auf unserer Titelseite. Durch das<br />

ProjektJungeZeitung trafen sie sich zu einem Gespräch<br />

übers „Geschichte-mit-dem-Stift“ erzählen.<br />

HELEN SCHNEIDER: Wiebist Du<br />

darauf gekommen, die Comicserie „sagenhaft<br />

unnerwegs“zumachen?<br />

MANUEL TIRANNO: Geschichte<br />

hat mich schon immer interessiert.<br />

Mein Vater kommt aus Italien. Früher<br />

sind wir mit dem Auto nach Sizilien<br />

in die Ferien gefahren, zu<br />

Oma und Opa. Meine Eltern stoppten<br />

unterwegs an historischen Orten.<br />

Italien ist voll davon: Florenz,<br />

Rom, Neapel. Auch Sizilien ist<br />

übersät mit Bauwerken aus allen<br />

Epochen. Da gaben sich Griechen,<br />

Römer und Normannen die Klinke<br />

in die Hand. Auf den ersten Blick<br />

hat man nicht den Eindruck, dass<br />

Frankfurt eine historische Stadt ist,<br />

aber wenn man zum zweiten Mal<br />

h<strong>ins</strong>chaut, gibt es viel zu entdecken.<br />

In meinen Bildergeschichten<br />

versuche ich, die Geschichte der<br />

Stadt zu erzählen, die meine Uroma<br />

mütterlicherseits kannte. Für sie<br />

war die mittelalterliche Innenstadt<br />

noch Alltag gewesen. Durch meine<br />

Recherchen konnte ich nachvollziehen,<br />

warum sie sich nach dem<br />

Krieg nicht mehr mit Frankfurt<br />

identifizieren konnte. Die Stadt hat<br />

durch die Zerstörungen des Krieges<br />

ihr Gesicht komplett verändert.<br />

Comiczeichnen heißt vor allem<br />

auch Konzepte entwickeln: Ideen<br />

haben, wo und wie was veröffentlicht<br />

werden kann. Als erste Geschichte<br />

zeichnete ich die <strong>Frankfurter</strong><br />

Gründungssage. Opa und Enkelin<br />

sollen für die Jetzt-Zeit stehen<br />

und von daaus geht es in die Vergangenheit,<br />

was zeigt: Frankfurt<br />

war nicht immer so wie heute. Ich<br />

war mit den Zeichnungen in der<br />

Redaktion der F.A.Z. Mein Glück<br />

war es, Andreas Platthaus zu begegnen,<br />

der einer der besten deutschen<br />

Comic-Kenner ist und mir mit Rat<br />

und Tat zur Seite steht. Er fragte<br />

mich, wie viel ich über Karl den<br />

Großen zeichnen kann. Daraus er-<br />

gab sich die seit vier Jahren laufende<br />

Serie in der Zeitung. Man muss<br />

natürlich auch Glück haben, zur<br />

richtigen Zeit am richtigen Ort<br />

sein und die passenden Partner treffen.<br />

SCHNEIDER: Hat Heimat etwas mit<br />

Vergangenheit zu tun?<br />

TIRANNO: Heimat ist ein problematischer<br />

Begriff,der muss neu besetzt<br />

werden. Heimat ist für mich<br />

da, wo man sich h<strong>ins</strong>etzt und sein<br />

Bierchen trinkt. Wenn Leute mich<br />

sehen, sind sie verblüfft, dass ich<br />

was mit Heimat mache. Dann erzähle<br />

ich und die Leute sind neugierig<br />

und fragen weiter und weiter:<br />

„Erzähl mal...“. Sie sind interessiert<br />

an der Geschichte der Orte, an<br />

denen sie leben. Der Hirschgraben,<br />

wo das Goethehaus steht, war<br />

<strong>Frankfurter</strong> Sagen neu gesehen<br />

Vonder <strong>Frankfurter</strong> Gründungssage,<br />

der rettenden Durchquerung<br />

der Mainfurt durch das Heer Karls<br />

des Großen, spannt sich das Geschichtenpanorama<br />

über den<br />

Schatz im Ulrichstein bis hin zum<br />

Bau des Eisernen Stegs im Jahre<br />

1869. In 27 Bilderzählungen schildert<br />

der Comickünstler Manuel Tiranno<br />

festliche, grausame und spannende<br />

Begebenheiten seit dem frü-<br />

hen Mittelalter. Im1628 erschienenen<br />

Vogelschauplan von Merian<br />

sind die Orte eingezeichnet, um die<br />

es in den Sagen geht. Allein die Alte<br />

Brücke ist Schauplatz von fünf<br />

Geschichten.<br />

Ein sagenhaftes Buch für Kinder,<br />

Jugendliche und Erwachsene.<br />

„Sagenhaft unnerwegs“, Societäts-Verlag<br />

ISBN 978-3-7973-1175-7, 14,80 Euro<br />

So sieht Helen<br />

Schneider Manuel<br />

Tiranno.<br />

früher der Graben an der Stadtmauer,<br />

wo Hirsche gehalten wurden.<br />

Das Hexenplätzchen wurde<br />

von der Degussa irgendwann dem<br />

Firmengelände einverleibt, der<br />

„Brickegickel“ auf der alten Brücke<br />

ist heute noch in goldener Pracht<br />

zu sehen. Oft ist in den Sagen auch<br />

der Teufel im Spiel, denn eine große<br />

Brücke war im Mittelalter ein so<br />

unglaubliches Bauwerk, dass die<br />

Leute nur eine Erklärung dafür hatten:<br />

Da musste der Teufel mit zu<br />

tun haben. Frankfurt ist nicht die<br />

einzige Stadt mit Brückensage, die<br />

gibt es in Deutschland an viele Orten.<br />

Ich habe aber auch in Florenz<br />

und Rom gelebt, gute Geschichten<br />

gibt es überall und diese Geschichten<br />

sind meine Heimat.<br />

SCHNEIDER: „Das finde ich gut, das<br />

klingt sehr modern.“<br />

TIRANNO: Heute ist es so, dass die<br />

Leute viel mobiler sind als noch<br />

vor wenigen Jahrzehnten. Heimat<br />

sollte neu definiert werden. Man<br />

bewegt sich woanders hin und<br />

dann entsteht da ein örtlicher Bezug,<br />

und man fühlt sich zu Hause.<br />

SCHNEIDER: Wieviele Sagen kanntest<br />

du und wie viele musstest Du<br />

nachlesen?<br />

TIRANNO: Ich kannte ein<br />

paar aus der Schule.<br />

Heutzutage wird das<br />

wahrscheinlich nicht<br />

mehr durchgenommen.<br />

Zum Zeichnen<br />

gehört eine intensive<br />

Recherche. Es gibt<br />

mehr Sagen als<br />

man denkt, in<br />

verschiedenen<br />

Manuel Tiranno und Helen Schneider: Zwei Zeichner, die sich etwas zu sagen haben.<br />

Versionen. Das ist ein Haufen Material,<br />

das man auswerten muss,<br />

zum Bildgeschichten erzählen gehört<br />

viel Kreativität. Ich passte meine<br />

stilistische Umsetzung dem Medium<br />

Zeitung an, es ist etwas anderes,<br />

ob du für das Internet zeichnest<br />

oder ob die Arbeit auf Papier veröffentlicht<br />

wird.<br />

SCHNEIDER: Was bedeuten diese<br />

Comics für Dich. Eine Verbindung mit<br />

deiner Geburtsstadt? Und was bedeutet<br />

es diese Comics zu zeichnen?<br />

TIRANNO: Ich habe schon immer<br />

gezeichnet, ich habe meine Schulhefte<br />

voll gemalt. Das hat mir auch<br />

manchmal Ärger eingebracht. In<br />

unserer Gesellschaft zählen Passionen<br />

immer erst dann, wenn man<br />

damit Geld verdient. Schließlich<br />

schmiss ich die Uni und bin in die<br />

Comicschule nach Rom gegangen.<br />

In dieser Schule haben wir nicht<br />

nur zeichnen gelernt. Es ging vor<br />

allem um das Konzepte entwickeln.<br />

Über das Format der „Sagenhaft<br />

unnerwegs“-Geschichten für die<br />

F.A.Z. wurde viel diskutiert, denn<br />

natürlich hat eine Zeitung feste<br />

Vorgaben. Man muss schauen, dass<br />

man das Bildformat bestmöglichst<br />

ausnutzt, um die Geschichte dramaturgisch<br />

optimal zu erzählen.<br />

Da ich für die Jugendseite arbeite,<br />

versuche ich, Mord und Totschlag<br />

nicht explizit zu zeigen. Das<br />

Tolle an der<br />

Kombination<br />

junge zeitung<br />

Zeichenstunde in der FNP-Redaktion,<br />

das Handwerkszeug brachten<br />

die beiden Künstler mit.<br />

von Text und Bild ist, dass man<br />

nicht immer alles zeigen muss. Es<br />

ist gut, Raum für die Phantasie des<br />

Lesers zu lassen. Ich zeichne zuerst<br />

ein Storyboard, mit dem ich plane<br />

und verwerfe, dann kommt die<br />

Zeichnung, die im Rechner koloriert<br />

wird. Damit die Geschichten<br />

auch im Buch optimal wirken, wurde<br />

das Format aus der Zeitung vom<br />

Societäts-Verlag für das „Sagenhaft<br />

unnerwegs“ e<strong>ins</strong> zu e<strong>ins</strong> übernommen.<br />

SCHNEIDER: Du hast dein Hobby<br />

zum Beruf gemacht, lohnt sich das?<br />

TIRANNO: Ich gehe öfter an Schulen<br />

und mache Comic-Workshops<br />

und bekomme darauf ein gutes<br />

Schülerecho. Die finden meinen<br />

Beruf sehr cool und<br />

Linkes Bild:<br />

So zeichnet Manuel<br />

Tiranno die <strong>Frankfurter</strong><br />

Vergangenheit: Opa und<br />

Enkelin umringt von<br />

Sagenfiguren, auf dem<br />

Thron Kaiser Karl.<br />

Manuel Tiranno<br />

zeichnet Helen<br />

Schneider, markant<br />

die blauen Haare.<br />

selbst auffällige Schüler, die sonst<br />

keinen Bock auf Schule haben, sind<br />

sehr engagiert. Wenn ich in diesem<br />

Alter an der Schule gewesen wäre<br />

und mir jemand verständlich gemacht<br />

hätte, dass man daraus einen<br />

Beruf machen kann: Ich hätte es super<br />

gefunden! Wenn man Kommunikationsdesign<br />

studiert, hat das<br />

erstmal mit Comiczeichnen nichts<br />

zu tun. Und an der Uni hast Du ein<br />

Problem, wenn du Kunstpädagogik<br />

studiert und Comic-Zeichner werden<br />

willst. Das ist kein romantischer<br />

Beruf, sondern ein mitunter<br />

ziemlich anstrengender Job, acht<br />

Stunden am Tagdazusitzen und die<br />

Geschichten fertig-zu-zeichnen.<br />

Aber es ist toll, frei arbeiten zu können,<br />

und jedes neue Projekt ist immer<br />

wieder eine spannende Herausforderung.<br />

Also: Ja,das ist die Antwort.<br />

VERANSTALTUNG Zeitungsnacht im<br />

Druckzentrum Mörfelden.<br />

Erleben Sie, wie aus Gedanken, Farbe und Papier<br />

Ihre Zeitung entsteht!<br />

Eines der modernsten Druckzentren Europas<br />

öffnet wieder seine Pforten und lädt Sie ein, den<br />

Entstehungsprozess Ihrer Tageszeitung hautnah<br />

mitzuverfolgen. Erleben Sie bei der Führung<br />

„fliegende“ Zeitungen, mannshohe Papierrollen<br />

und eine über 150 mlange Druckmaschine.<br />

Lernen Sie Ihre Redakteure und ihre Arbeitsweise<br />

kennen. Genießen Sie die musikalische<br />

Unterhaltung mit der Coverband Helium 6und<br />

freuen Sie sich auf kulinarische Spezialitäten<br />

aus der Region. Wir heißen Sie herzlich willkommen<br />

und freuen uns auf Ihren Besuch.<br />

ZUR PERSON<br />

Manuel Tiranno<br />

Gesprächsaufzeichnung &Fotos: Martin Glomm<br />

Manuel Tiranno wurde 1976 in<br />

Frankfurt geboren, hat in Frankfurt<br />

und Florenz Kunstpädagogik<br />

studiert und vorfünf Jahren<br />

seinen Abschluss als Comiczeichner<br />

an der Scuola Internazionale<br />

di Comics in Rom<br />

gemacht. Er lebt und arbeitet<br />

jetzt wieder in Frankfurt. Seit<br />

Anfang 2007 zeichnet er im<br />

Rhein-Main-Teil der F.A.Z.<br />

„Sagenhaft Unnerwegs. <strong>Frankfurter</strong><br />

Sagen als Comics“.<br />

Der Künstler ist mit eigener<br />

Website im Internet vertreten:<br />

www.manuel-tiranno.com<br />

Veranstaltungsinfo<br />

Fr., 30. September 2011,<br />

19:30 bis 23:00 Uhr<br />

� Druckzentrum Mörfelden,<br />

Kurhessenstraße 4–6,<br />

64546 Mörfelden-Walldorf<br />

€ Der Eintritt ist frei<br />

www.fnp.de

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