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Probefahrt ins Chaos - Frankfurter Neue Presse

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Samstag, 24. September 2011 POLITIK Seite 5<br />

als Türken?<br />

vom Vater Staat. Das ist statistisch bekannt,<br />

und wird auch an anderer Stelle<br />

in meinem Buch belegt. Wenn es eine<br />

krasse Fehlsteuerung gibt, dann ist es diese.<br />

Sie sehen nicht die Gefahr, dass sie eine gesellschaftliche<br />

Gruppe über einen Kamm<br />

scheren?<br />

SARRAZIN: Nein, denn das zeigen die<br />

Statistiken ja eindeutig. Natürlich, ich<br />

wiederhole, eine Statistik trifft keine Aussageüberden<br />

Einzelfall.<br />

Sie haben eben schon von denen gesprochen,<br />

die aus der Türkei oder aus arabischen Ländern<br />

kommen, qualifiziert sind und in<br />

Deutschland Karriere machen. Leiden diese<br />

nicht unter diesem Klischee?<br />

SARRAZIN: Image-Faktoren sind im Leben<br />

immer wichtig, aber wer gut ist, leidet<br />

nicht. Unser Problem ist doch, dass<br />

ein großer Teil unserer türkischen und<br />

arabischen Migranten sich nicht so integriert,<br />

wie man das erwarten sollte. Das<br />

Problem ist nicht, dass ein Teil es doch<br />

tut. Letztlich muss die Heilung aus den<br />

Gruppen selber kommen. Erst dann,<br />

wenn Türken und Araber sagen, „Wir<br />

wollen genauso viel Erfolg haben wie die<br />

Vietnamesen in der deutschen Gesellschaft“,<br />

und sich entsprechend anstrengen,<br />

wird sich etwasändern.<br />

Ich kann Ihnen nicht zustimmen, wenn Sie<br />

sagen: Wergut ist, leidet nicht unter diesem<br />

Klischee.<br />

SARRAZIN: Eine Tatsache ist doch kein<br />

Klischee. Wenn ich statistische Daten<br />

über die unterschiedliche Leistung einzelner<br />

Gruppen nenne, dann beschreiben<br />

diese Daten einen tatsächlichen<br />

Zustand. Ein Klischee wird eserst in Ihrem<br />

Kopf. Wenn 40 Prozent der türkischen<br />

Migranten keine Berufsausbildung<br />

haben und selbst von den jungen<br />

Deutschen türkischer Herkunft nur<br />

zehn Prozent einen Hochschulabschluss<br />

machen, dann hat die Benennung<br />

dieser Tatsache nichts Klischeehaftes.<br />

Der Hochschulabsolvent türkischer<br />

Herkunft wird damit leben können,<br />

dass 90 Prozent seiner türkischstämmigen<br />

Altersgenossen keinen<br />

Hochschulabschluss haben, und ich sehe<br />

nicht, wo darin das Klischee liegen<br />

sollte.<br />

Integration als Bringschuld<br />

Glauben Sie nicht, dass die Integrationsbereitschaft<br />

von Deutschen sinkt, wenn sie etwa<br />

Ihren Satz über Araber lesen?<br />

SARRAZIN: Grundsätzlich ist Integration<br />

nicht in erster Linie ein Problem<br />

der aufnehmenden Gesellschaft, sondern<br />

eine Aufgabe für die sich integrierenden<br />

Gruppen. Wie die deutsche Integrationspolitik<br />

zu bewerten ist, sei<br />

einmal dahingestellt. Jedenfalls diskriminierte<br />

sie niemals nach Gruppen. Italiener,Spanier,Türken<br />

und Araber wurden<br />

bei uns alle gleich gut oder gleich<br />

schlecht behandelt. Ungleiche Ergebnisse<br />

der Gruppen weisen deshalb in<br />

ihren Ursachen auf die betreffende<br />

Gruppe selbst zurück. Diesem Umstand<br />

muss man sich auch unsentimental<br />

stellen. Und wenn der türkische Abiturient<br />

sich durch ein von ihm empfundenes<br />

schlechtes Image türkischer Migranten<br />

betroffen fühlt, dann soll er mal<br />

seiner Kopftuch tragenden Mutter sagen,<br />

dass sie richtig Deutsch lernen soll<br />

und dass sie etwas für die Tochter in<br />

der Schule tut, anstatt zu planen, wann<br />

sie den Vetter aus der Türkei heiratet.<br />

Nur wenn die fortschrittliche Minder-<br />

heit der Türken und Araber in ihrer eigenen<br />

Volksgruppe den Integrationsdruck<br />

verstärkt, wird sich ja etwas ändern. Und<br />

wenn dabei die Unzufriedenheit mit<br />

dem Image der eigenen Volksgruppe ein<br />

Treiber ist, so kann das nur produktiv<br />

und beschleunigend wirken.<br />

Sie haben nicht die Befürchtung, dass Ihre<br />

Thesen von bestimmten Gruppen falsch verstanden<br />

werden?<br />

SARRAZIN: Wissen Sie, immer wenn<br />

man etwas sagt, kann dies falsch verstanden<br />

werden. Die Frage lautet: Ist eine<br />

Aussagerichtig oder falsch?<br />

„Probleme weggedrückt“<br />

Man hat ja auch die Möglichkeit, das durch<br />

Formulierungen zu steuern.<br />

SARRAZIN: Ja, aber man muss so formulieren,<br />

dass das, was man sagen will,<br />

auch ankommt. In unserer Gesellschaft,<br />

die alles verwischt und verschleiert, verschwindet<br />

es ansonsten unter einem Vorhang<br />

unspezifischen Wohlwollens, und<br />

dann tauchen Probleme gar nicht erst<br />

auf.<br />

Sie sagen, dass es wichtig ist, sich unmissverständlich<br />

auszudrücken. Die rechtsextreme<br />

NPD hat in Berlin mit einem Zitat aus ihrem<br />

Buch geworben, wogegen Sie rechtlich<br />

vorgegangen sind. Hatten Sie damals das<br />

Gefühl, irgendetwas falsch gemacht zu haben?<br />

SARRAZIN: Nein, für mich gilt das Prinzip:<br />

Ich lasse meine Meinungen und<br />

Analysen nicht von anderen steuern.<br />

BLICKPUNKT<br />

Alle warenandem<br />

großen Tagein<br />

bisschen aufgeregt.<br />

Immerhin kamja<br />

nicht irgendwer<br />

zu uns als Interviewpartner.Als<br />

Thilo Sarrazin<br />

dann durch die<br />

Sabina<br />

Neuling<br />

Türkam, wurde er vonetlichen<br />

neugierigen Augengemustert.<br />

Der Mann, der in den vergangenen<br />

zwölf Monaten so viel Wirbel<br />

verursacht hat, wirkte erstaunlich<br />

normal. Er begrüßte uns höflich<br />

und sprach mit leiser,aberklarer<br />

Stimme. Er hob nie die Stimme<br />

und sprach eher wie jemand<br />

Unbeteiligtes, den das Thema,<br />

um das es ging, eigentlich gar<br />

nicht betraf.<br />

Fürihn sind das alles Fakten<br />

und unumstößliche Tatsachen,<br />

für die er selbst nichts kann. Auch<br />

wenn er äußerlich sehr entspannt<br />

war, wirkte er auf mich zumindest<br />

innerlich sehr unruhig. Immer<br />

warerinBewegung. Außerdem<br />

fiel auf,dass er auf uns als Schüler<br />

kaum einging, sondern wie mit<br />

einer Gruppeerfahrener<br />

Journalisten sprach.<br />

Und obwohl er unzähligeTalk-<br />

Shows und Interviews hinter sich<br />

hat, fielen ihm die Antworten auf<br />

einigeunserer Fragen sichtlich<br />

schwer. Wasuns, auch wenn wir<br />

es nur schwerzugeben, doch etwas<br />

stolz machte. Sabina Neuling<br />

Wenn die NPD sagt, die Erde ist rund,<br />

werde ich nicht sagen, sie ist flach. Im<br />

Übrigen gilt natürlich: Je mehr die demokratischen<br />

Parteien und die Mehrheitsgesellschaft<br />

Probleme wegdrücken,<br />

umso größer ist die Gefahr, dass heimatlose<br />

Probleme in die Hände falscher Leute<br />

geraten.<br />

Woran liegt es, dass die Gesellschaft Probleme<br />

wegdrückt?<br />

SARRAZIN: Das sind komplexe Prozesse.<br />

Nehmen Sie die Politik: Diese hat generell<br />

die Tendenz, nur das als Problem<br />

zu sehen, was sie auch lösen kann. Die<br />

Politik wird dabei bestärkt von den Medien.<br />

Politik und Medien koppeln sich<br />

geme<strong>ins</strong>am bis zu einem bestimmten<br />

Umfang ab von den Wahrnehmungen<br />

und Strömungen in der Gesellschaft. Das<br />

ist sicherlich ein Element.<br />

Sind Sieeigentlich selbstkritisch?<br />

SARRAZIN: Ja, natürlich. Sie können<br />

ganz sicher sein, dass ich jede Tabelle in<br />

meinem Buch dreimal überprüft habe.<br />

Wirmeinen selbstkritisch, nicht gründlich.<br />

SARRAZIN: Gründlichkeit ist eine Form<br />

von Selbstkritik. Man muss die eigenen<br />

Aussagen immer wieder auf den Prüfstand<br />

stellen. Wenn man es aber gründlich<br />

gemacht hat, hat man alles Recht,<br />

das Resultat auch zu verteidigen.<br />

Nach all dem, über das wir gesprochen haben,<br />

möchte ich Ihnen meinen Eindruck<br />

schildern. Sie wirken auf mich ziemlich kaltherzig.Täuscht<br />

dieser Eindruck?<br />

SARRAZIN: Wenn man einen Sachverhalt<br />

analysiert, muss man ihn mit den<br />

Instrumenten analysieren, die dem<br />

Sachverhalt angemessen sind. Wenn Sie<br />

z.B. an einem Krankenhaus als Facharzt<br />

für Onkologie arbeiten, dann analysieren<br />

Sie unterschiedliche Tumore. Sie<br />

überlegen, was man tun kann, erwägen<br />

Therapien. Das Ganze ist erst einmal<br />

unabhängig von den Gefühlen des einzelnen<br />

Patienten, und davon dürfen Sie<br />

sich bei der Analyse auch nicht beeinflussen<br />

lassen. Die Frage, wie Sie mit<br />

dem Patienten mitfühlen, ist ein anderes<br />

Thema. Sie mögen den Arzt, der am<br />

Mikroskop sitzt, die Präparate betrachtet,<br />

sortiert und die Operationsfolge<br />

festlegt, als kaltherzig ansehen, aber das<br />

ist keine zielführende Betrachtungsweise.<br />

Ich selbst habe versucht, meine Arbeit<br />

möglichst gut zu machen, und habe<br />

Therapievorschlägegemacht.<br />

Ein neues Buch?<br />

Bereuen Sie etwas, was Sie inIhrem Buch<br />

geschrieben haben oder würden Sie esgenauso<br />

noch mal schreiben?<br />

SARRAZIN: Nach einem Jahr Diskussion<br />

stelle ich fest, dass die in meinem<br />

Buch analysierten grundlegenden Fakten<br />

alle noch genauso stehen wie am<br />

Anfang der Diskussion. Ich habe auch<br />

noch keinen wesentlichen Denkfehler<br />

erkannt. Insofern bereue ich nichts.<br />

Wir haben gehört, dass Sie irgendwann<br />

noch ein Buch schreiben wollen. Wissen Sie<br />

schon worüber?<br />

SARRAZIN: Ich werde sicherlich noch<br />

ein Buch schreiben, verrate aber nicht,<br />

worum es gehen wird. Das müssen Sie<br />

mir nachsehen.<br />

Die Fragen stellten Jonas Buchmann,<br />

Konstantin Buchmann, Marisa Diehl,<br />

Lucas Donnerstag, Anna-Lena Gerke,<br />

Léon Haase, Marie Mußler, Holly<br />

Ann Neumann, Daniel Privitera, Carolin<br />

Siech und Sebastian Wenz.<br />

Sparkasse<br />

junge zeitung<br />

Thilo Sarrazin im Gespräch mit den Schülern. Fotos/Montage: Victor Hedwig<br />

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