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Erinnerungen 1848-1914 ..

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136 Wanderjahre<br />

nicht als<br />

Ganzes erfaßt und in allen seinen körperlichen Erscheinungen mit<br />

Liebe, auch wohl mit Entsagung verfolgt und verstanden wird.<br />

Unterkunft fand der deutsche Gelehrte oder der es werden wollte in Casa<br />

Nardini, Borgo St. Apostoli, im Dunkel einer altflorentiner Gasse.<br />

Signora<br />

Nardini, echt florentinisch wie aus einem Fresko Ghirlandajos, konnte zwar<br />

nicht lesen, aber sie sprach das melodische Toskanisch mit manchen Formen,<br />

die von der Grammatik als veraltet bezeichnet waren, den Leser der alten<br />

Florentiner gerade darum anheimelten. Noch stand der mercato vecchio;<br />

er duftete übel, aber es gehörte zu Altflorenz, daß die Ehemänner auf den<br />

Markt gingen und die köstlichen funghi und Gemüse in großen bunten<br />

Taschentüchern nach Hause trugen. In kleinen dunkeln Cafes und den<br />

Hinterstuben von billigen Kneipen und Weinstuben lernte man die nie erlöschende<br />

Vorliebe für italienische Küche und echten Chianti. Die Stadt, die<br />

man durchwanderte, war nicht zu groß, um wirklich vertraut zu werden.<br />

San Marco schien noch vorstädtisch, zu Masaccio nach dem Carmine zu<br />

gehen ein weiter Spaziergang. Die piazza Michelangelo mit den zugehörigen<br />

Anlagen bestand noch nicht ;<br />

zu S. Miniato stieg man auf einsamem steilem<br />

Wege empor: in seinem Frieden war das Glücksgefühl, in Florenz sein zu<br />

dürfen, am stärksten. Ich bin 1925 wieder hinaufgestiegen; die Kirche war<br />

leer und dunkel, nur eine Leiche stand in offenem Sarge. Draußen Frühlingssonne,<br />

blühende Bäume. Alles so recht gemacht, um Abschied zu nehmen.<br />

„Wer von dem Schönen zu scheiden verdammt ist,<br />

fliehe mit abegewendetem Blick."<br />

Wunderschön; und doch besser sich bescheiden und der Schönheit recht<br />

ins Auge schauen, sich freuen, daß sie den ephemeren Menschen überdauert.<br />

Auf der Laurenziana arbeitete es sich im Herbste gut ;<br />

ich habe sie auch in<br />

der Sommerhitze kennengelernt, wo es schwer erträglich war.<br />

Die schönen<br />

Katzen, die sich in dem Klostergarten tummelten, an dem der Kreuzgang<br />

vorbeiführt, konnten sich wohl fühlen. Vorstellen mußte man sich dem Oberbibliothekar<br />

Ferrucci, eine Formalität, aber unerläßlich; tatsächlich hatte<br />

man nur mit dem kundigen und hilfsbereiten Abbate Anziani zu tun. Aber<br />

Ferrucci vergaß die fleißigen Besucher nicht. Im folgenden Jahre empfing er<br />

mich mit heftigen Küssen; mein Rock war nachher voll Schnupftabak; er<br />

schenkte mir auch seine lateinischen Verse, Bearbeitungen äsopischer Fabeln.<br />

Viel in den Handschriften zu stöbern ließ die Hauptarbeit nicht zu. Nur ein<br />

Auftrag R. Herchers für Plutarchs Moralia führte auf die Riccardiana.<br />

In der casa Nardini war ich nicht allein, das trug zu dem Ertrage dieser<br />

Wochen besonders viel bei. Rudolf Scholl kam aus Greifswald, unterneh-

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