Zentralbanker als Zauberlehrlinge? - Avenir Suisse
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6 _ Zentralbanken im Erwartungsstrudel<br />
6.1 _ Allgemeines<br />
Mit ihren massiven<br />
geldpolitischen Eingriffen<br />
haben die<br />
Notenbanken in der<br />
Finanz- und Staatsschuldenkrise<br />
Feuerwehraufgaben<br />
übernommen,<br />
die die<br />
Grenzen zwischen der<br />
Geld- und der staatlichen<br />
Finanzpolitik<br />
verwischt haben.<br />
Mit ihren massiven geldpolitischen Eingriffen haben die Notenbanken<br />
in der Finanz- und Staatsschuldenkrise Feuerwehraufgaben übernommen,<br />
die die Grenzen zwischen der Geld- und der staatlichen Finanzpolitik<br />
verwischt haben. Gleichzeitig sind damit neue Erwartungen in die<br />
Möglichkeiten der Geldpolitik geweckt worden. Dadurch rückte die Sicherung<br />
der Preisstabilität <strong>als</strong> bisherige Hauptaufgabe der Geldpolitik<br />
zwangsläufig in den Hintergrund. Zudem sind die Notenbanken wegen<br />
des Versagens der Politik immer stärker unter Handlungszwang geraten.<br />
«Our views of central banks have changed every generation or so for<br />
centuries», schrieb unlängst der bekannte Chicago-Ökonom John H.<br />
Cochrane (Cochrane 2012). Stehen wir heute angesichts der grossen Herausforderungen<br />
der Geldpolitik wieder vor einer geldpolitischen Wende wie<br />
vor 40 Jahren mit der «monetaristischen Gegenrevolution»? Dieser Eindruck<br />
kommt jedenfalls auf, wenn man sich die geldpolitischen Massnahmen<br />
der Federal Reserve, der Bank of England, aber auch der ezb vor<br />
Augen führt. Deren Mandat scheint keine Grenzen mehr zu kennen. Die<br />
Geldpolitik wird <strong>als</strong> Stabilisierungsinstrument der Güter-, Arbeits- und<br />
Finanzmärkte betrachtet und entsprechend grosszügig eingesetzt. Die<br />
Notenbanken sind nicht mehr nur «lenders of last resort» für Banken,<br />
sondern auch Kreditgeber der letzten Instanz für Staaten. Und nach dem<br />
«Konzept der optimalen Inflation» wird eine Teuerung von 4-5% <strong>als</strong> nicht<br />
schädlich angesehen.<br />
Unter dem Einfluss der aktuellen geldpolitischen Hektik ist ein neues<br />
Element hinzu gekommen. Lange Zeit war der klassische Notenbanker<br />
gleichsam ein unabhängiger Techniker, der mit wenigen Werkzeugen<br />
dafür sorgte, dass die Wirtschaft dank Preisstabilität möglichst störungsfrei<br />
funktionierte. Der heutige <strong>Zentralbanker</strong> ist dagegen zu einem Geldstrategen<br />
geworden, der auf alle wirtschaftlichen Verwerfungen eine<br />
Antwort hat. Symptomatisch dafür ist etwa die Aussage von Mario Draghi,<br />
dem Chef der ezb: «Wir halten im 360-Grad Winkel nach unkonventionellen<br />
Massnahmen Ausschau, die die Probleme wirklich lösen» (Draghi<br />
2013).<br />
Vor diesem Hintergrund stellen sich einige grundsätzliche geldpolitische<br />
Fragen. Soll erstens das bestehende geldpolitische Mandat, dessen<br />
Zielgrösse die Preisstabilität unter Berücksichtigung der Konjunktur ist,<br />
zwar grundsätzlich beibehalten, aber mit erweitertem oder neuem Instrumentarium<br />
befolgt werden? Der Fächer der in Diskussion stehenden<br />
Vorschläge ist breit. Er reicht von einem erweiterten Inflationsziel (grös sere<br />
Zum Ausstieg aus der ultraexpansiven Geldpolitik 35