Zentralbanker als Zauberlehrlinge? - Avenir Suisse
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Nehmen etwa Preisniveau und Output schwächer <strong>als</strong> angestrebt zu, wird<br />
eine expansive Geldpolitik in der Öffentlichkeit kaum auf Widerstand<br />
stossen; im umgekehrten Fall dürfte eine restriktive Geldpolitik viel<br />
schwieriger umzusetzen sein. Auf die aktuelle Lage von Grossbritannien<br />
oder der Eurozone mit nur bescheidenem realem Wachstum bezogen,<br />
liefe dies faktisch auf die Ankündigung eines höheren Inflationsziels<br />
durch die betreffenden Notenbanken hinaus. Unter den heutigen Voraussetzungen<br />
dient der Vorschlag des Nominal gdp Targeting lediglich<br />
<strong>als</strong> Feigenblatt für eine höhere Inflationstoleranz.<br />
Es ist nicht auszuschliessen, dass über die «Inflationsfurcht» der Konjunktur<br />
kurzfristig positive Impulse verliehen werden können. Diese<br />
Effekte sind aber vermutlich nur vorübergehend. Die längerfristigen<br />
Schwierigkeiten dieses geldpolitischen Ansatzes, der einer Feinsteuerung<br />
der Wirtschaft gleich kommt, dürften jedoch erheblich sein. Zum einen<br />
würde die Verankerung der Inflationserwartung gelockert. Zum andern<br />
würden die Notenbanken ihre über die Jahre aufgebaute Reputation <strong>als</strong><br />
Hüter der Preisstabilität aufs Spiel setzen. Die Stabilitätsorientierung der<br />
Notenbanken ist – zusammen mit deren institutioneller Unabhängigkeit<br />
– jedoch die Voraussetzung für das Funktionieren des heutigen staatlichen<br />
Papiergeldsystems.<br />
Deshalb dürfen Notenbanken keinen Zweifel an ihrer Stabilitätspolitik<br />
aufkommen lassen. Wie die Reputation einer Zentralbank im Zeitablauf<br />
erodieren kann und wie spekulativ verzerrte Preise und fehlgeleitetes<br />
Kapital in hohen Inflationsraten enden können, zeigen zahlreiche empirische<br />
und theoretische Arbeiten (Bianchi und Melosi 2012). Die Überforderung<br />
der Geldpolitik ist schon heute eine ernst zu nehmende Gefahr; auf ein<br />
Spiel mit der Inflationserwartung sollte sie sich nicht einlassen. «Wer mit<br />
der Inflation flirtet, wird von ihr gefressen» (Otmar Emminger). Man<br />
muss sich deshalb bewusst sein, dass das «Nominal gdp Targeting» ein<br />
riskantes Abenteuer darstellt, weil das geldpolitische Regime nicht einfach<br />
nach Massgabe der Konjunkturzyklen gesteuert werden kann. Die<br />
geldpolitische Vorhersehbarkeit würde darunter leiden, was zusätzliche<br />
Unsicherheiten in die Finanzmärkte brächte. Letztlich würde auch das<br />
Vertrauen in die Geldpolitik leiden, und die Glaubwürdigkeit der Notenbanken<br />
würde unterminiert.<br />
Unter den heutigen<br />
Voraussetzungen dient<br />
der Vorschlag des Nominal<br />
GDP Targeting<br />
lediglich <strong>als</strong> Feigenblatt<br />
für eine höhere<br />
Inflationstoleranz.<br />
6.6 _ Preis-, Beschäftigungs- und Wachstumsziele <strong>als</strong> gleichgewichtete<br />
geldpolitische Ziele<br />
Wie weiter oben erwähnt, nennt der geltende Federal Reserve Act die<br />
Gleichgewichtung der Preis-, Beschäftigungs- und Wachstumsziele explizit.<br />
Dieses Phänomen erklärt sich aus der Geschichte der amerikanischen<br />
Notenbank und dem damaligen Zeitgeist (1977/78), <strong>als</strong> den Zentralbanken<br />
noch ein breites, aber im Endeffekt unverbindliches Bündel von Zielen<br />
vorgegeben wurde, sowie aus der Tatsache, dass die amerikanische<br />
Volkswirtschaft im Vergleich zu den europäischen viel weniger offen ist.<br />
Zum Ausstieg aus der ultraexpansiven Geldpolitik 41