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4 KONTEXT:<br />

WOCHENZEITUNG<br />

Samstag |Sonntag, 28. |29. Dezember 2013<br />

Ich weiß natürlich nicht, ob Du Menschengemachtes<br />

überhaupt noch zur<br />

Kenntnis nimmst. Womöglich bist<br />

du inzwischen derart enttäuscht vom<br />

Homo sapiens –Dukannst ja sicher mittlerweile<br />

ein bisschen Latein –, dass Du dir<br />

der Einfachheit halber Augen und Ohren<br />

zuhältst. Ein bißchen ungerecht wäre das<br />

natürlich, weil auf höchst mysteriöse Weise<br />

sind wir ja auch Deine Geschöpfe,Stichwort<br />

Trinität oder zu Deutsch Dreifaltigkeit,<br />

Du weißt schon.<br />

Ich schreibe Dir trotzdem, weil<br />

Wunschzettel ein uralter Brauch in dieser<br />

Jahreszeit sind. Bräuche und Gewohnheiten<br />

hat man gern hier unten (sind gut fürs<br />

Wir-Gefühl). Auch deshalb gibt es ja schon<br />

seit Wochen in den Kaufhäusern unentwegt<br />

„Sti-hille Nacht“ oder „O du fröhliche“,<br />

wie alle Jahre wieder.Erfahrungsgemäß<br />

steigert das die Kauflaune (ist gut für<br />

die Konjunktur) und zugleich eine weihevolle<br />

Stimmung (ist gut für Dich). Stichwort<br />

gut. Darum, also ums irgendwie<br />

Nützliche,dreht sich ja alles in der Evolution,<br />

aber von der verstehst Du nichts,sehr<br />

geehrtes Christuskind. Jedenfalls sehen<br />

die Leute in Dir seit eh und je so eine Art<br />

Inbegriff vom Guten. Dewegen kommst<br />

Du speziell in der Weihnachtszeit dauernd<br />

vor; in den anderen Jahreszeiten eher weniger.<br />

„Chri-hist der Retter ist da“, singen<br />

Jung und Alt am sogenannten Heiligen<br />

Abend, und den Sentimentalen unter den<br />

Erwachsenen tritt dann oft verstohlen eine<br />

Träne ins Auge. Wenn ich da gleich mal<br />

den ersten Wunsch loswerden dürfte (ich<br />

will nämlich weder Hemd noch Schal und<br />

auch keinen Gutschein für den Flieger<br />

nach Malle): Mach doch mal, dass die Leute<br />

sich wenigstens ein paar Minuten überlegen,<br />

was sie sich da eigentlich alles widerspruchslos<br />

anhören und sogar selber<br />

von sich geben. Das ist nämlich echt der<br />

Hammer.Zum Beispiel halten sich die allermeisten<br />

Leute, die ich so kenne, gar<br />

nicht für rettungsbedürftig,auch nicht von<br />

Dir. Ziemlich viele sind sogar ziemlich<br />

überzeugt von sich, auch wenn mir persönlich<br />

das nicht immer in dem Maße einleuchtet.<br />

Ob das aber zum Text von „Stihille<br />

Nacht“ passt oder nicht, scheint ihnen<br />

komplett schnuppe zu sein.<br />

MEHR KONTEXT AUF<br />

www.kontext-wochenzeitung.de<br />

S-Klasse<br />

Schwarz, rot, depressiv<br />

Der Psychiater hat den Frisör abgelöst.<br />

Jedenfalls als Gesprächsthema bei Party<br />

und vor allem bei Jugendlichen. Das hat<br />

unsereAutorin ELENAWOLF,die im Moment<br />

in den Endzügen ihrer Masterarbeit<br />

liegt, beobachtet. Und sie hat sich gefragt:<br />

Wasist eigentlich los mit uns Jungen?<br />

„Früher haben wir Depression offenbar<br />

mit Langeweile verwechselt. Heute<br />

wissen wir nicht einmal mehr,wie sich<br />

Langeweile anfühlt“, schreibt sie. „Je älter<br />

man wird, desto größer werden die<br />

Srogen –wie weiße Elefanten, die sich in<br />

die Mitte unseres geistigen Wohnzimmers<br />

stellen und die Sicht auf alles andere<br />

blockieren.“ Den ganzen Artikel lesen<br />

Sie online auf www.kontextwochenzeitung.de<br />

Ausgeclippt<br />

Das Ende von Infopaq kam still und leise<br />

in der Adventszeit. Das Aus des traditionsreichen<br />

Medien-Auswerters ist kein<br />

Horrorszenario, das sich Globalisierungskritiker<br />

ausgedacht haben. Es ist<br />

vielmehr ein Lehrstück, wie ein Unternehmen,<br />

das sich einen exzellenten Ruf<br />

erarbeitet hat, systematisch an die Wand<br />

gefahren wird. Unser Autor WILHELMRE-<br />

SCHL war auf der letzten Betriebsversammlung.<br />

KONTEXT:FÖRDERN<br />

Hinzu kommt dieses religiöse<br />

Allianz-Versicherungs-Gefühl<br />

Jedenfalls: Wenn ich ihnen mit der Erbsünde<br />

komme und deren laut Bibel äußerst<br />

unangenehmen Folgen, fällt ihnen<br />

immer gleich ein anderes Thema ein, das<br />

Wetter beispielsweise oder wie teuer alles<br />

ist. Und wenn ich dann nachhake und sie<br />

darauf aufmerksam mache,dass laut Bibel<br />

dermaleinst nur ziemlich wenige ins Paradies<br />

gelassen und die anderen schmoren<br />

werden, dann gelte ich ihnen als Sonderling.<br />

Nicht wenige von denen gehen aber<br />

gewohnheitsmäßig zu Weihnachten in die<br />

Kirche und sprechen dort Worte wie diese:<br />

„… von wo er kommen wird zu richten die<br />

Lebendigen und die Toten.“ Wahrscheinlich<br />

tun sie das auch wegen dieses feierlichen<br />

Kribbelns,und das ist ja etwas Schönes.<br />

Hinzu kommt wohl dieses religiöse<br />

Allianz-versichert-Gefühl, das beruhigt<br />

und ist insofern wieder etwas Nützliches.<br />

Ritus und Tabu, hätte Sigmund Freud vielleicht<br />

gesagt, aber diesen gottlosen Heiden<br />

kennst Du wieder nicht, sehr geehrtes<br />

Christuskind.<br />

Dein Image ist und bleibt jedenfalls super.<br />

Die allergrößten Menschen können<br />

nur träumen davon, sogar Götze(!) oder<br />

Ronaldo.Und das,obwohl es doch für die<br />

allermeisten richtig eng wird, wenn es so<br />

kommt, wie Du prophezeit hast. Dass Du<br />

es trotzdem in zweitausend Jahren zu einem<br />

Mega-Ansehen und einer kolossalen<br />

Popularität gebracht hast, das ist Wahnsinn!<br />

Wenn Du mir wenigstens mal in groben<br />

Zügen verraten könntest, wie Du das<br />

hinkriegst –das wäre toll. Das war schon<br />

mein zweiter Wunsch. Und wenn Du gerade<br />

dabei bist, das eine oder andere zu klären,<br />

dann lass mich doch bitte auch gleich<br />

wissen, wieso Ihr drei da oben (siehe Trinität)<br />

jemanden auf ewig verdammen<br />

wollt, bloß weil der nicht an Euch glaubt.<br />

Wir leben heutzutage in einer Demokratie,<br />

sehr geehrtes Christuskind, auch davon<br />

verstehst Du natürlich nichts.<br />

Das heißt unter anderem, dass man<br />

nicht bestraft wird wegen seiner Meinung.<br />

Das ist auch gut so, und das muss doch<br />

auch für Religionsangelegenheiten gelten.<br />

Das könnte sogar Euch da oben klar sein,<br />

jedenfalls bei etwas Nachdenken. Mein<br />

dritter und letzter Weihnachtswunsch,<br />

man soll ja nicht unbescheiden sein, geht<br />

„Sehr geehrtes<br />

Christuskind …“<br />

von Peter Henkel<br />

Die meisten Menschen halten sich nicht für rettungsbedürftig.<br />

Zur Weihnachtszeit singen viele trotzdem gerne<br />

„Chri-hist der Retter ist da“. Ein Sonderling macht sich<br />

Gedanken über die Erbsünde, ewige Verdammnis und<br />

die sagenhafte Popularität des christlichen Glaubens.<br />

Ein offener Brief ans Christuskind<br />

„Ich hätte da mal einen Wunsch …“ Fotos: Martin Storz<br />

ganz schnell: Macht, dass wenigstens das<br />

größte Elend in Eurer Schöpfung endlich<br />

aufhört. In der Schule lernt man, dass ganz<br />

bestimmt Dein Vater ohne Weiteres dafür<br />

sorgen könnte, wenn er wollte. Ich ahne,<br />

warum er es nicht tut, aber dazu ganz unten<br />

mehr.<br />

Jedenfalls lassen sich Eure Anhänger<br />

viel einfallen, wenn es darum geht, ihn in<br />

Schutz zu nehmen. Mal schieben sie dem<br />

Menschen und seinem sogenannten freien<br />

Willen die Schuld zu für alles Böse auf der<br />

Welt, und wenn das nicht geht, wegen Erdbeben,<br />

Dürre oder Flutkatastrophe, dann<br />

sagen sie, man kann eben nicht alles mit<br />

dem Verstand klären. Also da könnt Ihr da<br />

oben echt stolz sein auf Eure Anhänger.<br />

Sehr geehrtes Christuskind! Natürlich<br />

hast Du weder Zeit noch Lust zu lesen, was<br />

Menschen so alles schreiben. Es ist ja auch<br />

wirklich viel Schrott dabei. An Deiner<br />

Stelle würde ich aber eine Ausnahme machen<br />

und mir für untern Weihnachtsbaum,<br />

falls Ihr so etwas auch aufstellt, das jüngste<br />

Buch von Kurt Flasch holen lassen. Es<br />

heißt „Warum ich kein Christ bin“, handelt<br />

also von Euch beiden da oben und erklärt,<br />

wieso ein frommer, aber kluger<br />

Mensch seinen langen Abschied genommen<br />

hat vom Glauben. Der Professor<br />

Flasch ist leider nun auch schon 83, und<br />

deshalb hat er neulich gesagt: „Jetzt, da es<br />

auf das Ende zugeht, habe ich gedacht,<br />

wenn du demnächst vor dem Weltenrichter<br />

stehst, dann willst du doch ein Buch in<br />

der Hand haben, in dem steht, dass es ihn<br />

nicht gibt.“ So etwas sollte zu denken geben.<br />

Mit weihnachtlichen Grüßen, auch<br />

für 2014 nach Christus,<br />

ein Mensch<br />

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