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taz |DER HELD<br />

wochenende@taz.de | TAZ.AMWOCHENENDEapple SONNABEND/SONNTAG,28./29.DEZEMBER2013 05<br />

Erwartungen der Shareholder. Wilde<br />

bärtigeMännerundFrauen riefenfrüher:„EnteignetSpringer!“Heutehaben<br />

die Springer-Kollegen statt Budapestern<br />

nurnoch Turnschuhe ausLeinen<br />

an den Füßen. Nichtmal Schnürsenkel<br />

sinddran.IstdasnochNerdoderschon<br />

Franziskus? Über Franziskus geraten<br />

wir hier oben aufdem Dach in Streit.<br />

Die Experten unten behaupten, der<br />

Mann sei ein gewiefter PR-Stratege.<br />

Gut, istjanichtschlimm, gute PR verkauft<br />

sich gut, und was kann daran<br />

falschsein,einkleinesAutozufahren?<br />

AberistFranziskuswirklicheinsoguter<br />

PR-StrategewieDiekmann?MussFranziskus,<br />

wenn er es denn ernstmeint,<br />

nicht umziehen? Sein Gästehaus verlassen<br />

und ins Silicon Valley mitdem<br />

Skateboardfahren,umdortdigitalmesses<br />

zu feiern? Wirstellen uns vor, wie<br />

FranziskushierzuunsaufsDachsteigt<br />

undmitunsdasGastmahlbegeht.Wie<br />

Sokrates würden wir ihn empfangen<br />

undbisindasMorgengrauenmittrunkenem<br />

Kopf über die Fragen vonPR-<br />

Strategie bis Parusieverzögerung diskutieren.<br />

Doch diese beschwingende<br />

Idee wirdjäh zerstört.Denn durch die<br />

schwere Eisentür trittein Experte zu<br />

uns aufs Dach. Mitdem Papstauf dem<br />

taz-Dach rumliegen? Ha! Das hätte er<br />

wohl gern. „Der Mann hatWichtigeres<br />

zu tun“,ermahntunsderExperte.Klar,<br />

die Welt istböse, und daran kann man<br />

mit ein bisschen Rumhängen und<br />

RumspinnenimGrasnichtvieländern.<br />

UndalsoergebenwirunsdemExperten<br />

sowieeinstAgathonundAristophanes<br />

demSokratesundhörenunsan,wasder<br />

DoktorEisenfaustundMisterVolkstribun<br />

VON BERTRAM JOB<br />

Indiesen aufreibenden Wochen<br />

istVitali Klitschkoimmer<br />

beides gewesen, einer<br />

von vielen und gleichzeitig<br />

ein herausragender Akteur.Die<br />

Fernsehkameras hatten wenig<br />

Mühe,ihnmitseinen2,01Meter<br />

einzufangen, wenn sie in Kiew<br />

das Hin und Her am zentralen<br />

Platz der Unabhängigkeit, dem<br />

Maidan,aufzeichneten.Derehemalige<br />

Boxchampion im gefütterten<br />

Parkawar unter den Demonstranten<br />

weder zu übersehen<br />

noch zu überhören.Das Mikrofon<br />

warsein Taktstock, mit<br />

dem er sie bald ermutigen und<br />

baldinihrerRagebremsenwollte.<br />

„Lasst euch nicht provozieren!“,rieferdannbeispielsweise,<br />

„Bleibt besonnen!“ und noch so<br />

allerlei,ohnedabeiselbstgefällig<br />

zuwirken.<br />

Ausgerechnet ein gefürchteterKönigdesK.o.wirdnunnicht<br />

müde,imProtestgegendengerade<br />

eher aufRussland fixierten<br />

Regierungskurs der Ukraine ein<br />

gewaltlosesVorgehenanzumahnen.<br />

Der „ChampionEmeritus“,<br />

sonenntmanTitelträgerdesangesehenenWorldBoxingCouncil<br />

imAusstand,zeigtaufdieseWeise<br />

Führungsqualitäten auf einem<br />

völlig anderen Gebiet. Und<br />

werdarin eine Bewerbung um<br />

höchste politische Ämter sehen<br />

will, liegt vermutlich nicht so<br />

falsch. Vielleichtauch schon für<br />

das kommende Jahr. Klitschko<br />

fordertjaNeuwahlen.<br />

Den Unbezwingbaren mit<br />

dem Kampfnamen „Dr. Eisenfaust“<br />

kann Vitali Klitschko in<br />

seinem 43. Lebensjahr ohnehin<br />

nichtviel länger geben. In der<br />

derzeitigen Situationinseinem<br />

Heimatlandallerdingskönnteer<br />

gebrauchtwerden. Hilft ihm dabei<br />

irgendwie auch seine ErfahrungalsBoxer?<br />

Vorteileausnutzen, wenn der<br />

Augenblickeshergibt:dashater<br />

in mehr als 17 Profijahren im<br />

Ring verinnerlicht. Er versucht,<br />

mitseiner Fraktion „Udar“,also:<br />

Fausthieb, und mit anderen<br />

Oppositionsparteien in die Deckungslücken<br />

hineinzustoßen,<br />

diedieRegierungWiktorJanukowitschszeigt.DieChancefürdie<br />

OppositionliegtimUnmutalljener<br />

Ukrainer, die im AssoziierungsvertragmitderEUeinehistorischeChancesehen,diemarode<br />

Wirtschaft des Landes aufzurichten<br />

und westwärts auszurichten.Unddiedagegenprotestieren,<br />

dass der Vertragauf Eis<br />

gelegt wurde, weil er ihnen eine<br />

Chance bot, die mansich durch<br />

keineLockungoderDrohungaus<br />

Moskauentgehen lassen dürfe.<br />

DarumsagtKlitschkoderÄltere:<br />

„Wirmüssenkämpfenfürunsere<br />

VisionundunserLand.“<br />

Wann immer der Kämpfer in<br />

Kiew deutsche Reporter empfing,<br />

erwies er sich als leidenschaftlicherBotschafterderjungen<br />

Republik. Wieein offizieller<br />

Repräsentant führte er seine<br />

Gäste, an Kirchen und Denkmälernentlang–undentschuldigte<br />

sich jedes Mal, wenn hier ein<br />

Platznichtsauber,dorteinHotel<br />

oder Café zu nachlässig gemanagtwar.Dasergaböftersseltsame<br />

Wortwechsel. Schöne, breite<br />

Boulevards? Könnten gepflegter<br />

sein.EinAbstecherzurKrim?Lieber<br />

erst, wenn da wieder ein<br />

GrandHoteleröffnet.<br />

DawilleinerstolzseinaufseineNationinihrerAufbruchstimmung.<br />

Und Aufbruch ist für<br />

KlitschkoimmereineBewegung<br />

hinzuDemokratieundzumWesten.Ähnlichwieaucherundsein<br />

Bruder Wladimir sich in der<br />

westlichen Welt bewährthaben:<br />

zwei dominante Schwergewichte,dieüberdieJahreChampions,<br />

Publikumsmagneten und Promoter<br />

wurden. Nichtdurch Protektion<br />

vonzweifelhaften Box-<br />

Tycoons wie Don King, sondern<br />

indemsiemitLeistungundsolidem,<br />

mehrsprachigem Auftritt<br />

am Weltmarkt überzeugten. Gut<br />

oder böse, korrupt oder makellos:esgibtimKlitschko-Kosmos<br />

nichtviel Platz für Zwischentöne.<br />

Das machtVitali so populär<br />

KAMPF2014<br />

entscheidetsich,<br />

obdieUkraine<br />

sichdochin<br />

RichtungWesten<br />

orientiert.Vitali<br />

Klitschkowird<br />

einezentrale<br />

Rollespielen.<br />

MitdemWissen<br />

desBoxers<br />

wie auch suspekt: Er hatdas Gespür<br />

für die kurzfristigen Deckungslücken,aberziehterauch<br />

die Schlangengruben im politischen<br />

Alltag ins Kalkül? Seine<br />

Geradlinigkeit, sein Charme<br />

könnten auch zum Handicap<br />

werden.WaszumTeilerklärt,warum<br />

er trotz aller Sympathien<br />

fürihnschonzweimaldarangescheitertist,Bürgermeister<br />

der<br />

Hauptstadtzuwerden.<br />

Du darfst ein, zwei Runden<br />

verlieren,sagtmanbeimBoxen,<br />

nur nicht den ganzen Kampf.<br />

Klitschkoist wieder aufgestanden,<br />

um dann stärker zurückzukommen.<br />

Inzwischen hatererklärt,<br />

für das Amtdes Staatspräsidenten<br />

kandidieren zu wollen,<br />

wieerjüngstmehrfachangedeutethat.DasmachtihnzurJahreswende<br />

zum erklärten Hoffnungsträger–vorallemfürjene,<br />

die sich eine neue, richtungweisende<br />

Politik jenseits etablierter<br />

SeilschaftenimMachtgefügeerhoffen.<br />

„VieleshatsichinderUkraine<br />

in den letzten Jahren getan“,<br />

heißtesinder DoppelautobiografiederKlitschkosmitdemTitel„UnterBrüdern“dazu–„trotzdem<br />

gibt es noch einen riesigen<br />

Berg vonProblemen. Die Demokratieistlängstnichtsoweitvorangeschritten,<br />

wie sich die Bevölkerungdas<br />

wünscht. Und die<br />

Kriminalitätsrateistzwargesunken,<br />

aber nach wie vorerschreckendhoch.“<br />

DieserneunJahrealteBefund<br />

giltmehroderwenigerunverändert,wieKlitschkoMitteDezember<br />

in einem Interviewmit dem<br />

Spiegel betonthat.Das Magazin<br />

machte den unverbrauchten<br />

Quereinsteiger zum Objekt diverser<br />

Projektionen. Endlich sei<br />

da einer,hieß es, der sich nicht<br />

kaufen lasse. Und der nichteinzuschüchternoderzuumgarnen<br />

seivonPutinsRussland,dasdem<br />

klammen Nachbarn kürzlich<br />

durch neue Kredite und gesenkte<br />

Ölpreise fürs Erste den Arsch<br />

gerettethat.<br />

Obdasreicht,umamEndeerfolgreichzu<br />

sein?ImRinghater<br />

in 47 Kämpfen nurzweimal verloren,alserjeweilswegenVerletzungen<br />

ausdem Kampfgenommenwurde.ErselbsthättevorallemimPrestigeduellmitLennox<br />

Lewis 2003 trotz einer klaffenden<br />

Wunde über dem Auge weitergemacht.SolcheEpisodenhaben<br />

den Mythos vom willensstarken<br />

Helden weiter befeuert.<br />

IhrMannkönneeinfachalleserreichen,<br />

wasersich in den Kopf<br />

setze,gabsichseineFrauNatalie<br />

nacheinemWM-Triumphzuversichtlich.<br />

InlangenHosenwirddieSituation<br />

naturgemäß etwas komplexer.GeradehatVitaliKlitschko<br />

nunseinen WM-Titel zurückgegeben.<br />

„Meine Konzentration<br />

giltder Politik in der Ukraine“,<br />

hatervoreinpaarTagenwieder<br />

betont,„ichspüre,dassdieMenschen<br />

mich brauchen.“ So<br />

sprichtderVolkstribunvoneigenenGnaden.<br />

Zwei dominante Schwergewichte, zunächst einmal sportlich: Wladimir und Vitali Klitschko Foto: Volker Roloff/Focus<br />

■ Bertram Job ist Journalist und<br />

Autor zahlreicher Bücher. Eines<br />

seiner Themen: Boxen. Er war<br />

bei jedem WM-Kampf von Vitali<br />

Klitschko live dabei

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