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BERLINKULTUR<br />

www.taz.de<br />

b@taz.de<br />

SONNABEND/SONNTAG,28./29.DEZEMBER2013 apple TAZ.AMWOCHENENDE 49<br />

b<br />

Gestalte<br />

deinen<br />

Körper<br />

ehrlich<br />

HARTE MUSKELNDieSuchenachdem<br />

Einfachenhatdieprofessionelle<br />

Körperertüchtigungerreicht.<br />

Besuchimaußergewöhnlichen<br />

Studio„Blackrock“inMitte,wo<br />

Fitnesshandgemachtist<br />

So trainierte man 1930, und so ähnlich trainiert man auch im Jahr 2014 –ganz ohne Laufband und Edelstahlinstrumente Foto: Hulton Archive/Getty<br />

VON THOMAS ALKEMEYER<br />

RomantischeingefärbteKritiken<br />

an den vermeintlichen Sackgassen<br />

der modernen Welt sind<br />

soaltwiedieseselbst.Undsiehaben<br />

vieleGesichter.Seiteinigen<br />

JahrenzeigensiesichinderLiebe<br />

zumVintageebensowieinbärtigenjungenMännern,dieingrob<br />

gestrickten Pullovern auf dem<br />

Wochenmarkt kleine Kartoffeln<br />

verkaufen, „an denen extraviel<br />

Erdeklebt“,wiemanimSommer<br />

in der Süddeutschen Zeitung<br />

lesenkonnte.<br />

HandgemachteshatKonjunktur.<br />

Manufakturen für Schuhe,<br />

Schokolade, Fahrräder oder Rasierpinsel<br />

ausNaturborsten bedienen<br />

nostalgische Gefühlefür<br />

eine vorindustrielleZeit, in der<br />

„die Dinge noch gutwaren“, wie<br />

esinderWerbungfür„Manufactum“<br />

heißt. Die Großstadt-Boheme<br />

besinntsich aufRohkost<br />

und die guten alten Werteder<br />

Bürgerlichkeit; urban knitter<br />

strickengegendiegraueWeltdes<br />

Großstadtbetons an und überziehen<br />

Parkuhren und Straßenschilder<br />

mitihren bunten Strickereien;<br />

ungezählte Rockbands<br />

zwischen Los Angeles, London<br />

und Berlin suchen wieder Inspiration<br />

in der Mythenwelt von<br />

Country, Folk und Americana<br />

und lassen ihre Musik aufVinyl<br />

pressen.<br />

Längstprägt die Suche nach<br />

dem Einfachen auch die trendigen<br />

Welten des Fitnesssports<br />

undderurbanenBewegungskultur.<br />

Ob Fitness-Bootcamps oder<br />

das riskante Fahren mitFixed-<br />

Gear-BikesohneGangschaltung,<br />

LichtundBremse,mankonzentriert<br />

sich aufs Wesentliche. In<br />

BerlinhatderneuePurismusinzwischen<br />

aber auch die Kultur<br />

derFitnessstudioserreicht,ineinem<br />

Hinterhof in Mitte –wo<br />

sonst?<br />

In feiner Lage zwischen<br />

Reichstagsgebäude und Friedrichstraße<br />

isteine Stätte minimalistischer<br />

Körperertüchtigungentstanden,dienurInsider<br />

finden.KeineaufdringlicheWerbung,<br />

weder Namenszug noch<br />

LogoanderEingangstür.Diebeiden<br />

Betreiber setzen aufMund-<br />

propaganda. Wer Einlass begehrt,musswissen,womanklingelt.<br />

Drinnen eine Mischung aus<br />

Berliner Altbauwohnung, Weinkeller,<br />

Galerie, Turnhalle und<br />

Spielplatz. Zweistöckig. Im gewölbeartigenSouterrainderEingangsbereich<br />

mit dezenter<br />

Sportartikelwerbung, Sportfotografien,<br />

Bildbänden über Muhammad<br />

Ali und den Sportin<br />

derKunstsowiePokalenderbeiden<br />

Chefs ausihrer aktivenZeit<br />

als Bodybuilder und Eishockey-<br />

spieler.Imangrenzenden„Spiel-<br />

ANZEIGE<br />

BERLINER FESTSPIELE<br />

Martin-Gropius-Bau<br />

Verlängert bis 6.1.2014<br />

NUR<br />

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Meret Oppenheim10 TAGE<br />

www.gropiusbau.de • Mi –Mo10–19 Uhr<br />

zimmer“ der Natur nachempfundene<br />

BodenflächenausMeeressandundwelligemKunststoff<br />

zurSchulung vonSpürsinn und<br />

Gleichgewichtsgefühl, dazuein<br />

beeindruckender Bestand aus<br />

selbsterdachtenundgefertigten<br />

GerätenzumTrainingvonKraft,<br />

Ausdauer und Geschicklichkeit:<br />

sandgefüllte Gießkannen und<br />

Autoreifen,SeilzügeundKlettervorrichtungen<br />

ausTauwerk, Expander,zusammengebasteltaus<br />

Schiffszubehör und Latexbändern,<br />

Sandsäckeund –er<br />

darfnatürlich nichtfehlen –<br />

derMedizinball.<br />

Oben dann –Geübte<br />

müssennichtdieTreppe,<br />

sondern können auch<br />

ein Kletterseil nehmen,<br />

umindieersteEtagezu<br />

kommen–die„Turnhalle“<br />

mit Parkettboden,<br />

Sprossenwandundeiner<br />

flexiblen Konstruktion<br />

ausPfosten und Stangen<br />

zum Klettern und Turnen,<br />

für Klimmzüge und<br />

Liegestütze.Allesaushellem,<br />

hochwertigem Holz, exklusiv<br />

vomTischlergefertigt,sogardas<br />

WaschbeckenaneinerderQuerwände.EinSpiegelzwischengroßen<br />

Fenstern an der Längswand<br />

macht esmöglich, sich beim<br />

Übenselbstzubeobachten.<br />

DieserOrtisteineAntwortauf<br />

die Unorte der großen Fitnessketten<br />

mit ihren Maschinenhallen,<br />

die ähnlich wie Flughäfen,<br />

Bahnhöfe oder Hotels überall<br />

aufder Welt gleich aussehen.<br />

Er gibt sich unverwechselbar –<br />

hip,aberdochauchfamiliärund<br />

persönlich.AnstellevonMassenabfertigung<br />

wird hier ausschließlich<br />

ein individuell zugeschnittenes<br />

Personal Training<br />

mitTrainern angeboten, die die<br />

„Philosophie“des Ortes mitihren<br />

eigenen Körpern beglaubigen:<br />

um die dreißig der eine, an<br />

die fünfzig der andere, GroßstadtbartundtiefsitzendeSweat<br />

Pantshie, Tattoos und ärmelloses<br />

MuscleShirtdort, beide unverschämtgut<br />

austrainiert, aber<br />

doch ganz anders als die Titelfiguren<br />

von Men’s Health oder Fit<br />

forFun.<br />

Körperertüchtigungja,<br />

Lifestylenein<br />

Ursprünglich sollte das Studio<br />

stundenweise auch an andere<br />

Trainer vermietet werden. Aber<br />

dieser Plan istersteinmal vom<br />

Tisch. Zu groß sei die Gefahr einer<br />

Trübung der Reinheit von<br />

Konzept und Stil durch unpassende<br />

Performances und Trainingsmethoden.<br />

Körperertüchtigung<br />

soll hier weder anonyme<br />

Körperproduktionseinnochbloßer<br />

Lifestyle,indem der Schein<br />

über das Sein triumphiert, sondern<br />

ehrliche Hand-, nein<br />

Körperarbeit–ein wenig so,wie<br />

Bruce Springsteen den Rock ’n’<br />

Roll arbeitet: in dreistündigen<br />

Konzerten, bis wirklich nichts<br />

mehrgeht.<br />

Es versteht sich von selbst,<br />

dass Safttheke, Espressomaschine<br />

und Fitnessriegel-Sortiment<br />

hier nurstören würden: es soll<br />

geschuftet werden, sonstnichts.<br />

FürFortbildungenmitSportwissenschaftlern<br />

und Medizinern<br />

gibt es in der „Turnhalle“ eine<br />

WandtafelundKreide.Computer<br />

oder garSmartboardsuchtman<br />

ebenso vergeblich wie chromblitzendeKraftmaschinen.<br />

Die Trainingsmethoden und<br />

KompetenzenderbeidenBetreiberstammenausdermodernen<br />

Sport- und Trainingswissenschaft,<br />

ihre Semantik und ihr<br />

Selbstverständnisabersinddem<br />

Handwerk und dem Baumarkt<br />

entliehen. Sie steuern die Auswahl<br />

der Materialien und die<br />

BauweisenderGeräte.DasResultatsind<br />

Trainingspraktiken, die<br />

ganz anders sind als diejenigen,<br />

die manaus normalen Fitnessstudios<br />

kennt: keine EinspannungdesKörpersineineMaschinerie„entfremdeter“Körperproduktion,<br />

die Bewegungsrichtungen<br />

und -umfänge vorgibt wie<br />

ein Korsett; dagegen Arbeiten<br />

mitdemeigenenKörpergewicht,<br />

selbsttätiges Ausbalancieren,<br />

FindendesGleichgewichts.<br />

Werhier trainiert, möchte individuell<br />

betreut werden und<br />

seinen Körper im direkten Umgang<br />

mitTrainer und Material<br />

handwerklich gestalten. Nachdem<br />

der Körper in den Maschinenhallen<br />

der Fitnessketten zu<br />

einem Massenprodukt gemacht<br />

wurde, soll das Fitnesstraining<br />

hier wieder menschlich und individuellwerden.<br />

EsisteinLeichtes,StättendieserArtalsOrteeinerumsoziale<br />

Distinktion bemühten Wohlstandsklientel<br />

zu dechiffrieren<br />

oder ihre romantisierendes Gestaltung<br />

als bloße Fassade einer<br />

fortschreitenden Disziplinierung<br />

und Ökonomisierung des<br />

Körpers zu entlarven. Tatsächlich<br />

muss manneben dem nötigen<br />

Kleingeld auch einen bestimmten<br />

Geschmack haben,<br />

um Zugang zu finden. Hier werden<br />

nichtnur Gesundheitund<br />

Fitness verkauft, sondern auch<br />

das Lebensgefühl von Milieus,<br />

dieihreSmartphonesgerninaus<br />

gebrauchtem Leder gefertigte<br />

Hüllen der Marke „Zirkeltraining“<br />

stecken und High Technology<br />

so mitSchwärmereien für<br />

die guten alten Zeiten versöhnen.Esistvermutlichnichtallein<br />

deretwasteurerePreis,derandereMilieusdavonabhält,hiereine<br />

StundemiteinemPersonalTrainer<br />

zu buchen. Auch das AmbientesorgtfürExklusivität.<br />

Sehnsuchtnachdemnicht<br />

entfremdetenLeben<br />

Keine kulturellePraxis gehtallerdings<br />

in der puren Funktion,<br />

sich vor anderen hervorzutun,<br />

vollkommen auf. In der Suche<br />

nachdemEinfachen,demSelbstgemachten<br />

und Authentischen<br />

zeigtsichvielmehraucheinwiedererwachtes<br />

Bedürfnis nach<br />

nicht entfremdeten Beziehungen,<br />

nach Nähe zum Material,<br />

zumProdukt und zumeigenen<br />

Körper,nach einer Versöhnung<br />

des Menschen mitder Welt der<br />

Arbeit, nach persönlicher BetreuungundTätigkeiten,dieum<br />

ihrer selbstwillen gutgemacht<br />

werden.<br />

In den Räumen eines neuen<br />

Körper-Handwerks wird der<br />

technologischenUtopiedesKörpers<br />

als möglichsteffizientund<br />

reibungslosfunktionierender<br />

Maschine,dieimvergangenenJahrhundertdieFantasien<br />

in Medizin, Arbeitund<br />

Sportbeflügelte,<br />

die Vorstellung<br />

eines Körpers entgegengestellt,<br />

um dessen<br />

Gesundheit<br />

nachhaltig Sorge zu<br />

tragen ist–genauso<br />

wie um die bedrohte<br />

Natur. Essinddieskeine<br />

Räume für Anabolika,schoneherfürbiologisch<br />

angebauten Gemüsesaft.<br />

■ Thomas Alkemeyer istProfessor<br />

für Soziologie und Sportsoziologie<br />

an der Carl von Ossietzky Universität<br />

Oldenburg –und kennt das Studio<br />

aus einer entschieden teilnehmenden<br />

Beobachtung.

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