Aufreger
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nord |INTERVIEW<br />
SONNABEND/SONNTAG,28./29.DEZEMBER2013 apple TAZ.AMWOCHENENDE 43<br />
Setzt sich in der letzten Woche des Jahres hin und lässt das Jahr noch einmal vor sich ablaufen: Buchhalter Detlef Pätzold<br />
Foto: Miguel Ferraz<br />
WAHRHEITDiewenigstenliebenes,Bilanzzuziehen.Dochestutgut.Sagteiner,derschonvieleBilanzengezogenhat<br />
„DerZwangführtzuEntscheidungen“<br />
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INTERVIEW FRIEDERIKE GRÄFF<br />
und sagt: „Das kann nichtstimmen,<br />
da haben Sie sich verrech-<br />
Wennmansagt:Buchhaltersind<br />
HatdichdeinBerufgeprägt?<br />
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Detlef Pätzold<br />
DetlefPätzoldistingewisserWeise<br />
Teil der taz.nord, er hat sein inzwischen als selbstständiger Un-<br />
■ 60,istseit30JahrenBuchhalter,<br />
Büro im selben Haus wie die Redaktion.<br />
Man hört ihn oft im arbeitet und Bilanzensowohl für<br />
ternehmer.Erhat als Prokuristge-<br />
Nachbarzimmer lachen, er hat andereals auch fürdas eigene Unternehmen<br />
erstellt. Gemeinsam<br />
eine Heiterkeit und Redefreude,<br />
diedemKlischeedesBuchhalters mit seiner Frau führtereine Kita in<br />
nichtentspricht.VieleguteGründealso,ihnzumWesenderBilanz<br />
Hamburg.<br />
zubefragen.<br />
taz: Ist Bilanz zu ziehen etwas<br />
Wohltuendes,Detlef?<br />
DetlefPätzold:Wenneseineguteist,machtesrichtigSpaß.Aber<br />
esistimmereineschwierigeGeburt.<br />
Warum?<br />
Du willstzweiunterschiedliche<br />
Dinge unter einen Hutbringen.<br />
DerBankwillstduerzählen,dass<br />
du ganz viel Geld verdienst, jedenKreditzurückzahlenkannst,<br />
unddemFinanzamtwillstduerzählen,<br />
dass du am Hungertuch<br />
nagst. Und wenn es Mitgesellschafter<br />
gibt und du ihnen vielleichtetwas<br />
ausschütten musst,<br />
willstduihnen auch etwas vorjammern<br />
–aber nicht soviel,<br />
dass sie aufdie Idee kommen,<br />
denLadenzuverkaufen.<br />
Das wirft kein so schönes Licht<br />
aufdasWesendeinerKlienten.<br />
Das kann ja auch positivsein:<br />
Man will das Geschäft erhalten.<br />
Es gibt unterschiedlicheInteressen,dasliegtinderNaturderSache.<br />
Stößt du als Buchhalter aufdie<br />
Nachtseiten der menschlichen<br />
Natur?<br />
Nein. Eher auf die Kreativität,<br />
wenn die Leute sich Gedanken<br />
machen,wiesiedieseZieleerreichenkönnen.<br />
Zuletzt hatsich die HSH Nordbank<br />
Gedanken darüber gemacht.<br />
Die waren sehr kreativ, haben<br />
vieletolleGeschäftegemacht.<br />
Zurück zur Bilanz: Wasist das<br />
Schönedaran?<br />
Ichfindegutdaran,alleseinmal<br />
aufeinenPunktzubringen.Auch<br />
denZwangdazu.Erführtauchzu<br />
Entscheidungen.Geradewennes<br />
unangenehm ist, schiebt man<br />
dieDingegernvorsichher.EinigegebendieBilanzab,wenndie<br />
Dinge gutlaufen und wenn sie<br />
schlechtist,blendensieesaus.<br />
IstderZeitpunktderBilanzfür<br />
Unternehmer nichtvon außen<br />
vorgegeben?<br />
Man hatGestaltungsspielraum.<br />
Die kaufmännisch geprägten<br />
Menschenkennen,wennsiekein<br />
Weihnachtsgeschäft haben, im<br />
September das Jahresergebnis.<br />
Ichhabeeinmalineinemgroßen<br />
Konzerngearbeitet,derseineBilanzschonam29.12.fertighatte<br />
und sie am 2. oder 3. Januar veröffentlichte.<br />
Und die nicht kaufmännisch<br />
Geprägten?<br />
DiegebendenSchuhkartonzum<br />
Steuerberater,der ihn auch ungernanfasst,weilerUnheilahnt.<br />
WelcherArt?<br />
Da kommen böse Zahlen raus<br />
und der Mandantist ärgerlich<br />
net.“ Die menschliche Vorstellungistoftetwasanderesalsdas,<br />
wasdie Zahlen hergeben. Insbesondere,<br />
wenn mankein kaufmännisches<br />
Gefühl hat. Diese<br />
Unternehmer können trotzdem<br />
erfolgreichsein.Siehabeninder<br />
Regel einen Buchhalter,der den<br />
Chef zurückhält, wenn er zu<br />
überschäumendist.<br />
Das heißt, der Buchhalter hat<br />
echtenEinfluss?<br />
Er muss mitdenken und isthäufig<br />
auch eine Vertrauensperson:<br />
Er istoft der einzige, der alles<br />
weißundkennt.WasimPrivatlebenderArztist,istimKaufmännischenderBuchhalter.Wobeier<br />
dieBilanznichtselbsterstellt,er<br />
sammeltdieDatendafür.<br />
Arbeitest du lieber mit den<br />
Kaufmännischen oder den<br />
Schuhkartonlernzusammen?<br />
Lieber mitden Kaufleuten. Das<br />
anderekostetohneEndeNerven,<br />
Zeitund Geld. Ausder Unkenntnis<br />
heraus entsteht oft auch<br />
Misstrauen. Es istjaauch ganz<br />
natürlich: WirMenschen haben<br />
am Jahresende gefühlsmäßig<br />
eher die letzte ZeitimBlick und<br />
nichtdasganzeJahr.<br />
abenteuerlustig, ja. Ganz viele<br />
BuchhaltermachenabenteuerlicheSportarten:Fallschirmspringen,<br />
Rafting –das sind Buchhalter,diedaunterwegssind.<br />
DasBilddesBuchhaltersinder<br />
Öffentlichkeitistjaehereinanderes.<br />
Das Bild vomMann mitden Ärmelschonernhebenundpflegen<br />
wir auch. Das weckt Vertrauen<br />
beidenUnternehmern.<br />
Washat dich an dem Beruf gereizt?<br />
IchwarfrühereinMensch,derallesplanenwollte.UndZahlengeben<br />
die Möglichkeit darzustellen,<br />
wie etwas funktioniert–damitkann<br />
manlange im Voraus<br />
planen. Mitden Jahren hatdie<br />
ArbeitauchimmerneueAspekte<br />
bekommen.FrüherwarBuchhaltungZahlenpinseln.Heutegeht<br />
esdarum,Sachverhaltezuanalysierenundeinzuordnen.<br />
Der Glaube an die Planbarkeit<br />
hatdichinzwischenverlassen?<br />
Ich habe malKurse besucht, wie<br />
maneineFrauanspricht,dienie<br />
zu etwas geführthaben. Dann<br />
traf ich meine spätere Frau,sah<br />
sie und dachte: Die möchte ich<br />
heiraten. Seitdem lasse ich die<br />
Dingeeheraufmichzukommen.<br />
WievielWahrheitliegtinBilanzen<br />
–können sich darin überhauptTendenzenspiegeln?<br />
Die spiegeln sich und der Sachkundige,derdieHintergründein<br />
der Branche kennt, vergleicht<br />
mindestens drei Bilanzen. Es<br />
kommtauch daraufan, welche<br />
Bilanz manvor sich hat: Die internen<br />
sind viel weiter aufgefächertalsdieveröffentlichten.<br />
IstdieMehrheitderLeutebereit<br />
für die Wahrheiten, die Bilanzenbringen?<br />
Eigentlich sind wir nichtsogepolt,ihnen<br />
ins Auge zu sehen.<br />
AberjemehrKenntnissewirhaben,destoeherbegreifenwirdie<br />
BilanzauchalsInstrument.<br />
Weil die Dämonen dann zum<br />
Haustierwerden.<br />
Ja,wenn ich den Fakten ins Gesichtsehe.<br />
Ich kenne einen Unternehmer,der<br />
in den Bankrott<br />
ging,undeswartollzusehen:Er<br />
hatMillionenverloren,zweiMonate<br />
gejammertund sich dann<br />
eineSägegekauftundEuropalettengesägt.Undwieessoist:Heutehaterwiedereinnetteskleines<br />
Unternehmendamitaufgebaut.<br />
Dasistnatürlichdersehrglück-<br />
Die menschliche Vorstellung istoft etwasanderes<br />
als das, was die Zahlen hergeben. Insbesondere,<br />
wenn man kein kaufmännisches Gefühl hat. Diese<br />
Unternehmer können trotzdem erfolgreich sein<br />
licheFall:BankrottalsChance.<br />
Viele Menschen, die vor dem<br />
Bankrott stehen, sind alt und<br />
grau.DannkommtderBankrott,<br />
dusprichstsiespäterwiederund<br />
sie sind entspannt: Die Angstist<br />
weg.<br />
Mein Großvater hatEnde des<br />
Jahres immer eine private Bilanzgezogen:Erschriebsichjedes<br />
Jahr seine Pläne für das<br />
nächste aufund verglich dann<br />
am Jahresende, wasdabei herausgekommen<br />
war. Hältst du<br />
dasfürklug?<br />
Ja.Solange das kein Diktat, sondern<br />
eine Unterstützung ist. Es<br />
kannjaauchdabeihelfen,zusehen,<br />
wo man sich selbst beschummelt–sei<br />
es, dass man<br />
sich die Dinge zu schön oder zu<br />
schlechtredet.FrüherwardasBilanzieren<br />
zumJahresende eine<br />
Menge Arbeit, das istdurch die<br />
Hilfe der EDV kaum mehr so.<br />
Jetzt kommen meine Kunden<br />
zumJahresende eher runter.Telefonisch<br />
istniemand mehr zu<br />
erreichen,esistgestattet,einfach<br />
malzwischen den Zahlen nachzugucken:<br />
Was tue ich eigentlich?<br />
Wasist mitmeinem Personal–warum<br />
gabessolcheinen<br />
Wechsel?<br />
Ziehst du selbst am Jahresende<br />
Bilanz?<br />
Nein.<br />
Weder privat noch als Unternehmer?<br />
Als Unternehmer steht die BilanzfürmichschonimOktober.<br />
UndalsPrivatmensch?<br />
Da setze ich mich in der letzten<br />
Woche des Jahres hin und lasse<br />
dasJahrnocheinmalvormirablaufen.<br />
Alsodoch.<br />
Alsodoch.