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nord |ERZÄHLUNG<br />

SONNABEND/SONNTAG,28./29.DEZEMBER2013 apple TAZ.AMWOCHENENDE 45<br />

„Das kann manjaverstehen“, sagt Herrmann.<br />

ErnimmtdieBohnennichtindieHand.Erkocht<br />

nicht.Erkannnichts,wasGeschicktheitverlangt.<br />

Erlegtseinebreiten,weichenHändenuraufden<br />

TischundmühtsichumRuheundGerechtigkeit.<br />

„Findestdu?“,fragtsie.„Ichfinde...“Sieweißgar<br />

nicht, wassie findet. Sie stehtder Krankheitvon<br />

Christianganzneutralgegenüber.Mitihrhatdas<br />

garnichtszutun.<br />

„Wirbemühenunswirklich,dichzuverstehen.<br />

Wirwissen nicht, waszwischen euch passiertist,<br />

aberniemandverurteiltdich.Wirklich.Dumusst<br />

deineneigenenWeggehen.“<br />

Sienickt.IhreneigenenWeggehen.<br />

AmAbendvorSilvesteristihrschlechtvonden<br />

GerüchenundsiebrichtindiegelblicheToilettenschüssel.Christianruftan,erwillmitihrreden,er<br />

klingtnettundvernünftig.<br />

„SilvestergehichmitIngbertessen.Ersagt,es<br />

warnotwendig, dass du dich vonmir getrennt<br />

hast,wirwarenineinerSackgasseundeswareine<br />

Artvon Distanzierung, die notwendig war, für<br />

dich,füruns.Damitdudichabspaltenundwieder<br />

duselbstseinkonntest.DieKrankheit,alsomeine<br />

Krankheit,hättedichsonstganzinunser‚Wir‘gezogen.<br />

Aber ich denke, wenn wir das erkennen,<br />

dannhabenwireineChance.WirkönnendocheinenSchnittmachen,einensauberenSchnittund<br />

dannhabenwirdocheineganzneueChance?“<br />

„Sicher“,sagtsie,aberihreStimmesagtfastgar<br />

nichts.Siefragtsich,wieneuundgroßdieChancen<br />

sind, für ein ‚Wir‘, wenn einer vondem ‚Wir‘<br />

vielleichtganzschlimmkrankistundderAndere<br />

nursichselbstnochriechenkann.<br />

AmSilvestermorgenistesihrklar,dassalleihre<br />

Freundestinken.<br />

SiegehthinausindieKälte,esisttrockenund<br />

eisig und es liegt auch kein einziges Fitzelchen<br />

Schnee.DieFarbensindklar.DieHimmelistblau,<br />

winzigeFedernausJürgensalterJackehabensich<br />

zumHorizonthinweißlichverdichtet.DieFelder<br />

sind schwarz und der Boden und die alten StoppelninihrerFormerstarrt.DieBäumestehenkahl<br />

inderLandschaftherum.JedesBlattisthartgefroren,jedereinzelnenrotenBeerehafteteinfarblichesDramaanundüberallemliegteineSchicht<br />

vonkaltemGlitzer.Siegehtganzallein,siehatzu<br />

Judithgesagt,„Nein,ichmöchtelieberallein.“Judithwäremitgekommen,obwohlsiesichimmer<br />

krümmtinder Kälteund ganz entsetzlich friert<br />

mitihrerMagerkeitundinihrerdünnenHaut.<br />

Ihr Atem dampft vorihr her,esbimmeltaus<br />

der Erinnerung, ein weihnachtliches Gebimmel,<br />

obwohl esschon Silvester ist, aber das Weihnachtsfestfehltihrplötzlich,alswäresiedrumbetrogen<br />

worden. Die Kindheitfehltihr plötzlich,<br />

dieWünsche,dieFreude,dieFähigkeit,sichetwas<br />

zuerhoffen.DasLebenistganzeinfach,kommtes<br />

ihrwiederindenSinn,vorsichihreblauenTurnschuhe,<br />

die sich aufden Wegsetzen, Schrittfür<br />

Schritt,kleinePfützenzerscherbelnundGrashalme<br />

zerbrechen. Der Geruch der Draußenwelt ist<br />

angenehm,istsauberundkaltwiederTod.<br />

Alssiezurückkommt,isterda.ErsitztinderKüche,trinktwarmeMilch,undisteinfachda,ganz<br />

normal.Lindasitztbeiihm,hältihrenKopfschräg<br />

geneigtundhörtihmzu,wieervonderKrankheit<br />

erzählt.NorableibtinderTürstehen,erbemerkt<br />

sie, er hatein kleines, schlechtes Gewissen, sieht<br />

sie.<br />

„Wowillstdudennjetztschlafen?“,fragtsie,als<br />

wäre das das größte Problem, während die Hitze<br />

unddieKüchengerüchesieangreifen.<br />

Er zuckt mitden Schultern. Er kramtnur mit<br />

letzter Mühe ein Fünkchen Humor noch heraus.<br />

Ausden Tiefen seiner Gewohnheit, ein bisschen<br />

FlitterundkeinGold.<br />

„Wer will denn hier schlafen?“,sagterund bemüht<br />

sich um ein Lächeln. Seine Lippen sehen<br />

ganzsprödeausundeinMundwinkelisteingerissen.<br />

„Wasmachstdudennhier?“,fragtsieweiterund<br />

ohne aufihn einzugehen. Unfähig, nett zu sein.<br />

DerGeruchvonMenschströmtinihreeisigkalten<br />

Nasenlöcher.<br />

„Nora!“,ermahntLindasie,siehateinbisschen<br />

echtenHassindenhübschgeschminktenAugen.<br />

„Du wolltestdoch nichtkommen!“,Norakann<br />

nichtaufhören,sieweintfastvorWut.<br />

ErschütteltdenKopf.LindalegtihrenArmum<br />

ihn,aufseinemStuhl,woersitzt,gekrümmt,mit<br />

Blick aufseine Schuhe. Seine Schuhe sind schon<br />

aufgebunden,alswollteersieausziehenundhat<br />

esdanndochnichtgetan,weilersichnichtsicher<br />

war.<br />

„Nora,hördochauf!“,flehtLinda.<br />

„DuwolltestdochmitIngbertessengehen.Du<br />

hast gesagt, meine Distanzierung warnotwendig.“<br />

„Ichhättenichtkommensollen.“Ersenktden<br />

Kopf noch tiefer.Erist eigentlich ganz erledigt<br />

undgarnichtsoklugundauchgarnichtsoausgeglichen,wieersiedasamTelefonhatglaubenlassen.<br />

Sie gehtamWohnzimmer vorbei, die Treppe<br />

hochinihrZimmerundlegtsichaufdieDecke.Sie<br />

steckt die Nase in die alte Wolleund schnüffelte<br />

amaltenWollstaub.EinHundwürdegutriechen,<br />

denkt sie. Ein Schaf auch. Hühner. Schweine,<br />

SchweineriechennachSchwein.Pferde.Sieweiß<br />

ganz genau,wie Pferde riechen, wie sie am Hals<br />

riechen, wie ein Hund ausdem Maul riecht, wie<br />

Katzenpipi riecht, all das kenntsie und es würde<br />

gutseinundnichteklig,selbstwennesstank.<br />

„Hallelujah,hallelujah!“,schreituntenjemand.<br />

DannklopftesanihreTür.Herrmann.<br />

Sie bleibt liegen, drehtnur kurz den Kopf zurück,<br />

ihm ihren Hintern zuwendend, aufgestützt<br />

aufihren Arm, ausdem kleinen Fenster sehend,<br />

aufdasFeldunddieschwarzenBäumehintenam<br />

Horizont,derrotwirdundglüht,alsständeesalles<br />

inFlammen.<br />

„Ichmöchtewirklichwissen,wasmitdirlosist“,<br />

sagtHerrmann.<br />

„Ichauch.Ichmöchtedasauchwissen“,sagtsie.<br />

„Dasistjaimmerhinwas“,sagtHerrmannund<br />

schweigt eine Weile. In der Stillehörtsie sein<br />

Schnaufen,dasihnimmerbegleitet.Erhatsicheine<br />

Krawatte angezogen. Er ist der Clown, der<br />

Freak,deram wenigsten Attraktive in derGesellschaft<br />

auserwählter Freunde rund herum um einenSohnmitDepression.ErhatkaumHumor.Er<br />

istnichtmalbesondersintelligent.<br />

„Christian,esgehtihmnichtgut.Undwirsind<br />

…sindseineFreunde.“<br />

„Sind–sind“, äfftsieihnnach.„Danngeheich<br />

eben.“<br />

„Dasmusstdunicht.“<br />

„Ichhättegarnichtkommensollen.“<br />

Undalsernichtssagt,fügtsiehinzu,„Esriecht.“<br />

„Hier,imZimmer?“<br />

„Ja,abernochmehraufderTreppe.Undamallermeisten<br />

…“Sieschweigt,siefindetesunerhört,<br />

wassiesagt.<br />

„Amallermeisten?“,fragter.<br />

„Unten bei euch. Ihr stinkt alle. Mir istschon<br />

ganzschlechtvoneuremGestank.“<br />

„Ichdenke,dannsolltestduwirklichbesser …“,<br />

sagte er und schließtleise die Tür, bevorsie den<br />

Schlusshörenkann.<br />

„Ja, das sollte ich“, sagt sie und erhebt sich. Sie<br />

solltewirklichunbedingtgehen.Sieistdiejenige,<br />

dienichtzurechtkommt.SiewerdenChristianin<br />

ihreArmenehmenundihnwiegen,biserschläft.<br />

Sie sind alleganz gute Menschen, verhältnismäßig,undgarnichtsobesondersegoistisch.Siesind<br />

klug, sie sorgen sich und sie zeigen Verständnis,<br />

alleswasmanerwartenkannundsogarnochein<br />

bisschenmehr.<br />

SiepacktihreSachenzusammenundschleicht<br />

sichraus.DraußenstehtihrAutonebenalldenanderenAutos,großeundkleine,wiedieVerhältnisse<br />

so sind, sie öffnet den Kofferraum, draußen<br />

stehtauch Jürgen in seinen alten Daunen und<br />

aschtindieVogeltränke.ErhebtdieHand.„Fährst<br />

du?“,rufter.<br />

Sienickt.<br />

„Warum?“<br />

„Ichmussweg.“<br />

Silvesterabend, denkt sie, nichtder beste Zeitpunkt,<br />

um abzuhauen. Wenn jemand krank ist,<br />

dannistdasnichtderbesteZeitpunkt,umihnzu<br />

verlassen. Die besten Zeitpunkte erwischtman<br />

nurselten,deshalbwirdesallesimmersoschief,<br />

so garnichtbesonders, wie in „Friends“,wozum<br />

bestenZeitpunktimmerdaspassiert,wasdannalle<br />

zumWeinen bringt oder zumLachen, aber so<br />

kannmanleidernichtleben.SiefährtdenFeldweg<br />

runter,ruckeltüber die hartgefrorenen Treckerspuren,demMondentgegen,denndraußensteht<br />

schonderweiße Mond überdemFeld,überdem<br />

DorfundüberderLandstraße.<br />

Dannistdawas,zweiLeuchtpunkte,undalssie<br />

bremst, sind die Punkte schon unter ihr verschwunden,<br />

von ihrem Auto verschluckt, sie<br />

stemmtsichmitallerKraftweiteraufdieBremse,<br />

obwohlsie weiß, dass sie vernünftiger bremsen<br />

sollte, dass es sowieso schon zu spätist,weil sie<br />

schon drüber ist, sie schliddertund rutscht, sie<br />

hörtdasQuietschen,siekanngarnichtsmachen,<br />

nursichinnerlichklammernundbebenundhoffen,<br />

und dann stehtsie still an einem Baum, den<br />

GurthartandenRippen,sieistaneinenBaumgefahren,nichtschlimm,nureinbisschen,siesteigt<br />

ausundsiesuchtmitdenAugendieStraßeab.Auf<br />

derStraßeliegteindunklerKlumpenTier.Siezittertein<br />

bisschen, sie nähertsich dem Klumpen,<br />

einWiesel,eineKatzeodereinkleinerHund,langgestreckt,aufdenBodengekauert.Sienähertsich,<br />

sienähertsichrechtunentschlossen,dieMuskeln<br />

tunihrwehvomZittern,dieLuftriechtnachverbrannten<br />

Reifen, irgendwo weit wegknalltes,<br />

Lichter steigen auf, über den Bäumen und dem<br />

Feld,inrotgrünblau,siegehtganzdichtheran,da<br />

bewegtsichwas,dabewegtsichderSchwanz,die<br />

Katzestehtauf.<br />

DieKatzestehtauf.<br />

DieKatzestehtauf,alswärenichtebeneinAuto<br />

über sie gefahren. Sie stehtauf und der Mond<br />

scheintauf die Katze und neue Lichter explodierenamHimmel,ingrünundsilberunddieKatze<br />

macht,„mau“.Danngehtsieweg.Langsam,majestätisch,<br />

ein unverwundbares, zauberhaftes Katzenvieh,dasjedeMengeLebenhat.Noragehtzurück,ihrAutostehtamBaum,esistverbeult,aber<br />

esbrummtleise,vondrinnenströmtihrdieWärmeentgegen,siesetztsichaufihrenSitz,fasstdas<br />

Lenkrad, betrachtet den Baumstamm vorihrer<br />

Frontklappe und das Leben kehrtlangsam und<br />

freundlich in sie zurück. Vorsichtig legt sie den<br />

Rückwärtsgangeinundvorsichtigdrücktsichihr<br />

WagenausdemBaumheraus.<br />

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Katrin Seddig<br />

■ istSchriftstellerin in Hamburg. Ihr Interessegilt<br />

dem Fremden im Eigenen. Ihr jüngstesBuch, „Eheroman“,erschien<br />

2012 bei Rowohlt.

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