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„Julwe“ istein nordfriesisches Nomen aus dem Mooringer Dialekt. Es istein<br />

eigenes Wort fürdie Besuche bei Verwandten und Freunden zwischen<br />

Weihnachtenund Silvestersowie Festen in genau dieser Zeit. In ihm finden<br />

sich die Ausdrückefür Weihnachten(jul) und Besuche machen (schulwe)<br />

SONNABEND/SONNTAG, 28./29. DEZEMBER 2013<br />

41<br />

Nach Weihnachten fängt es an zu stinken.<br />

Nora riechtanihrer Wolldecke.Die Decke<br />

riechtein bisschen nach Wolleund Muff,<br />

abernichtschlimm.SchlimmfängtimFlur<br />

an, schlimm wirdschlimmer,wenn sie die Treppe<br />

hinuntersteigt und am schlimmsten wirdder Geruch<br />

im Wohnzimmer, in dem sie sich irgendwann<br />

alleversammeln.<br />

SieistdieeinzigeohnePartnerunddaswärekein<br />

sogroßesProblem,wennsienichtvorkurzemauch<br />

noch einen gehabt hätte. Nunschläftsie in einem<br />

Bett, das für zwei gedachtwar,ein Bett, in dem der<br />

Partner fehlt, nichtihr,aber grundsätzlich,inder<br />

Aufstellung.<br />

An den Feiertagen, wenn Christian und sie rumhingenundaßenundvorallemtranken,hattensie<br />

häufig Sex. Besonders, wenn Andere da waren, um<br />

ihnherumundumsieherum.Siegewannenbeide<br />

inGegenwartanderer,auchfürsichselbst.Siewaren<br />

attraktivimVergleich.Allein,fürsichzuzwein,waren<br />

sie das nichtmehr.Die Attraktivitätvon ihnen<br />

beidenzerbrach an der Einsamkeit. Dass sie überhaupteinsamwaren,wennsiezusammenwaren,lag<br />

auch daran, dass sie so gutzusammen passten, sie<br />

warenzuzweitwieeiner.<br />

EshatteeineStörunggegeben,erhattezumArzt<br />

gemusst, es gabUntersuchungen und es konnte,<br />

möglicherweise, sogar schlimm sein. Er hatte lieb<br />

gelächeltundihreHandgenommen,alssiegemeinsam<br />

vom Arzt nach Hause liefen, winzig kleine<br />

Schneeflocken wirbelten in der Abenddunkelheit,<br />

und die Feuchtigkeitinihren Augen wargar nicht<br />

seinerKrankheitgezollt.<br />

AmselbenAbendsagtesieihm,dassesvorbeisei,<br />

mitihrer Liebe zu ihm. „Es tutmir leid“, sagte sie,<br />

„aberichkannnichtsdafür,esisteinfachsogekommen.“<br />

ErtrugesmiteinerzartenVerzweiflung,abermit<br />

einemtapferenLächelnimGesicht.Erwollekämpfen,<br />

sagte er,umseine Gesundheit und ihre Liebe.<br />

„Dubistüberfordert“,sagteerauchundsiestelltees<br />

nichtrichtig.<br />

ErlegtesichaufdieCouchundsahsich„Friends“<br />

aufDVDan,währenddieFlockenandasFenstertaumeltenundinderKüchederGeschirrspülersummte.SiesetztesichindenSesselundsiesahendieganzeNachtdiealten„Friends“,eineFolgenachderanderen,<br />

und währendsich Ross und Rachel liebten<br />

undtrennten,schienihrdasLiebenunddasTrennen<br />

nurTeil eines großen albernen Zwanges, aber sie<br />

konntenichtvondemSesselausstehenundinsBett<br />

gehen,siemussteessichallesansehen,obwohlsiees<br />

allesschonmehralseinmalgesehenhatte.<br />

Das Haus gehört Sebastians Mutter,die in HollandbeiihrerSchwesterlebt.Esisteinekleine,rote<br />

BacksteinvillamitmoosigemDach,dieeinStückzu<br />

weitvomMeerentferntstehtundzuungepflegtist,<br />

um gewinnbringendverkauft zu werden, aber die<br />

LuftumdasHausistsofeuchtundsosalzigwiedas<br />

MeerselbstunddrumherumgibtesnurFelderund<br />

KüheundeinendiesigenWaldrand.<br />

SiedrehtsichaufihrerWolldecke,Regenklatscht<br />

gegen das Fenster. Weihnachten war nicht das<br />

Schlimmste gewesen, dass sie partnerlos und geschenkeloswar,dasSchlimmstewar,wienettsiealle<br />

mitsichwaren.JonasundJudith,HerrmannundLinda,<br />

Jürgen und Sarah, Sebastian und Christina. JürgenundSarahhattensichnichtsgeschenkt,weilsie<br />

nach Islandfahrenwollten, im nächsten Jahr,das<br />

wardasGeschenkgewesen.DieAnderenhattensich<br />

auchkaumwasgeschenkt,eswareigentlichgarkein<br />

ProblemderGeschenkegewesen,siewussteeigentlich<br />

nicht, wasdas Problem gewesen war. Das Problemwarvielleicht,wiederBaumausgesehenhatte,<br />

so vollgehängt mitKugeln,und dass sie überhaupt<br />

einen Baum hatten, wie eine Familie und dass sie<br />

Weihnachtsliedersangen,Jimmyhatte„JingleBells“<br />

gesungen und dazuauf seinerGitarre gespielt. Sie<br />

hatte aufdem Teppich gesessen und etwas kaltes<br />

FleischausdemKühlschrankgegessen,währenddie<br />

AnderenihrPapierfaltetenundsichküssten.Wenn<br />

sie doch jetzt „Friends“ sehenkönnte, hatte sie gedacht.<br />

Keiner vonihnen warsowitzig wie Phoebe<br />

oderRossodersosüßwieRachel.Daswarihraufgefallenundauch,dasssiegemeinwar.SiehatteüberhauptkeineGefühlemehrinsichdrin,fürirgendjemandenausderRunde,siesahsiealleganzkaltund<br />

ganz neu, wie fremde Menschen. Sie hätte lieber<br />

„Friends“geguckt.<br />

(FortsetzungSEITE44)<br />

DasGuteistdasLeben,<br />

dasmankennt<br />

EINE ERZÄHLUNG VON KATRIN SEDDIG/ILLUSTRATIONEN: IMKE STAATS

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